Merkel: Würde wieder so entscheiden wie 2015

Angela Merkel empfängt den Journalisten Ingo Zamperoni zum Interview in ihrem Büro in Berlin
Thomas Ernst/NDR/dpa
Angela Merkel im ARD-Interview mit Ingo Zamperoni: Zehn Jahre nach "Wir schaffen das" verteidigt sie ihre Entscheidung von 2015.
Flüchtlingspolitik im Rückblick
Merkel: Würde wieder so entscheiden wie 2015
Zehn Jahre nach der Aussage "Wir schaffen das!" fällt die Bilanz über die Flüchtlingspolitik unterschiedlich aus. Die frühere Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel sagt, sie würde wieder so entscheiden. CDU-Generalsekretär Linnemann sieht es kritischer.

Zehn Jahre nach ihrer Grundsatzentscheidung zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn bleibt die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel umstritten. Während sie selbst und ihr Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) damalige Entscheidungen verteidigten, ging CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (CDU) mit der Bilanz der Asylpolitik am Montag kritisch ins Gericht. Unzufrieden ist er nach eigenen Worten insbesondere mit der Erwerbsbeteiligung von Flüchtlingen. Die hat laut einer aktuellen Studie aber Fortschritte gemacht.

Merkel sagte in einem Interview für die ARD-Dokumentation "Merkels Erbe - 10 Jahre 'Wir schaffen das!'", sie habe "keine Zweifel" daran, dass sie wieder so entscheiden würde wie damals. Anfang September 2015 entschied die damalige Regierungschefin, in Ungarn festsitzende Flüchtlinge, die das Land eigentlich hätte versorgen müssen, aufzunehmen. Schon zuvor war die Zahl insbesondere syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland stark angestiegen. Ende August 2015 verkündete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass die sogenannten Dublin-Verfahren für Syrer nicht weiter verfolgt werden. Das hieß: Wer es in die Bundesrepublik schaffte, konnte bleiben und wurde nicht in den Erstaufnahmestaat zurückgeschickt.

Zu ihrer damaligen Aussage "Wir schaffen das!" sagte Merkel: "Das ist ein Prozess, aber bis jetzt haben wir viel geschafft, und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden." CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann widersprach in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag): "Seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen zu uns gekommen, und weniger als die Hälfte ist heute in Arbeit. Ich finde das, gelinde gesagt, nicht zufriedenstellend." Deswegen müsse die aktuelle Regierung "die illegale Migration in die Sozialsysteme stoppen und reguläre Zuwanderung in den Arbeitsmarkt fördern".

Eine am Montag veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeichnete allerdings ein positiveres Bild als Linnemann. Demnach gingen im vergangenen Jahr 64 Prozent der 2015 angekommenen Flüchtlinge zwischen 15 Jahren und dem Renteneintrittsalter in Deutschland einer abhängigen Beschäftigung nach. Die Beschäftigungsquote habe sich damit der der deutschen Bevölkerung, die bei 70 Prozent liegt, deutlich angenähert.
Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums verwies zudem darauf, dass für den Aufwuchs auf dem Arbeitsmarkt vor allem Menschen aus dem Ausland sorgten, weil mehr Deutsche in Rente gingen als in Arbeit starteten. "Die Menschen, die zu uns kommen, sind sehr häufig diejenigen, die wir brauchen, um Fachkräftelücken zu stopfen", sagte sie.

Merkel räumte in der vom NDR produzierten Fernsehdokumentation ein, dass ihre Entscheidung polarisiert habe, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge im Sommer 2015 in Deutschland aufzunehmen. "Und dadurch ist die AfD sicherlich auch stärker geworden. Aber ist das ein Grund für mich, eine Entscheidung, die ich für wichtig halte, für richtig halte, für vernünftig, für menschenwürdig gehalten habe, das nicht zu tun?", fragte sie.

Der damalige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigte im MDR Merkels Kurs. Viele Menschen spürten, dass es heute unbewältigte Probleme gebe. "Die Frage ist nur, geht das zurück auf die Flüchtlingskrise von damals oder auch auf Entwicklungen, die anschließend eingetreten sind", sagte Altmaier. Probleme mit Migration gebe es heute auch in Ländern, die damals so gut wie keine Flüchtlinge aufgenommen hätten.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte dem Radiosender Bayern2, heute spüre man in ganz Europa die mehrheitliche Stimmung, dass es 2015 "zu viele Flüchtlinge in der Summe waren und dass nahezu alle europäischen Länder eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen wollen". Zugleich lobte er die Hilfsbereitschaft der Menschen in Bayern als "phänomenal", als unter anderem am Münchner Hauptbahnhof täglich Hunderte Geflüchtete über die Balkanroute nach Deutschland kamen.