Bonn (epd). Der Anschlag auf das Solinger Stadtfest vor einem Jahr hat die migrationspolitische Debatte aus Sicht des Bonner Politikwissenschaftlers Volker Kronenberg entscheidend verändert. „Gerade dieser Anschlag in Solingen - eine Stadt, die bereits durch die Erinnerung an den rassistischen Brandanschlag 1993 geprägt ist - wurde parteiübergreifend als Zäsur wahrgenommen“, sagte Kronenberg dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Folge habe sich die schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, das vorher nicht denkbar gewesen sei.
Solingen stehe in einer Reihe mit anderen Städten wie Mannheim, Magdeburg und Aschaffenburg, die durch ähnliche Anschläge erschüttert worden seien, sagte der Professor der Universität Bonn. „Diese Ereignisse haben das gesellschaftliche Klima signifikant verändert, auch wenn die Hintergründe jeweils unterschiedlich waren.“ An dem Solinger Anschlag hätten sich noch einmal die massiven Defizite in der Zusammenarbeit von Behörden herauskristallisiert. Zudem habe das Ereignis die Dysfunktionalität des Zusammenspiels von nationalen und europäischen Regelungen hervorgehoben.
Beim Fest zum 650-jährigen Bestehen der Stadt Solingen hatte ein Syrer am 23. August 2024 drei Menschen mit einem Messer getötet und zehn verletzt. Der tatverdächtige Issa al H. ist mutmaßlich Mitglied der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) und warals Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Er sollte 2023 abgeschoben werden, was aber scheiterte.
Vor allem in Nordrhein-Westfalen hätten der Solinger Anschlag und seine Hintergründe die politische Debattenlage verändert, sagte Kronenberg. „Das hat die schwarz-grüne Landesregierung dazu veranlasst, Maßnahmen zu ergreifen, die die Grünen zuvor eher skeptisch betrachtet hatten.“
Umfragen zeigten, dass die Reaktion der Landesregierung von großen Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen worden sei, erklärte der akademische Direktor des Bonner Instituts für Politikwissenschaft. „Vor dem Hintergrund der darauf erfolgten Bundestagswahl im Februar habe ich den Eindruck, dass Politik auf Landesebene da offenbar im Sinne der Menschen praktisch-verantwortungsbewusst und konsensorientiert agiert hat.“ Das werde auch daran deutlich, dass die AfD in Nordrhein-Westfalen, auch im strukturschwachen Ruhrgebiet, weniger von der Migrationsdebatte profitiert habe als in anderen Teilen Deutschlands.
Insgesamt trug der durch den Solinger Anschlag befeuerte gesellschaftliche Klimawandel aber laut Kronenberg zu einer weiteren Polarisierung bei. Einerseits habe zwar die AfD bei der Bundestagswahl im Februar davon profitiert. „In dieser politisch-psychologischen Gemengelage haben aber viele Umfragen auch gezeigt, dass viele Menschen finden, Humanität und Asyl gehörten zu unserer politischen Kultur“, betonte der Politologe.