Wie Musiktherapie Frühgeborenen hilft

Musiktherapeutin Uta Jordan spielt Kalimba-Daumenklavier für Lotta
epd-bild/Evelyn Sander
Musiktherapeutin Uta Jordan (l) spielt Kalimba-Daumenklavier für Tonja Bartel und ihrer Tochter Lotta, die mit nur 2.200 Gramm Gewicht zu früh auf die Welt kam.
Klänge für die Kleinsten
Wie Musiktherapie Frühgeborenen hilft
Uta Jordan musiziert für die Kleinsten: Mit ihren Klängen beruhigt die Musiktherapeutin Frühgeborene auf der Intensivstation des Westküstenklinikums in Heide. Ihr Berufsstand kämpft seit langem um eine geregelte Anerkennung.

Heute ist Ida dran, zum letzten Mal. "Danach geht's nach Hause", freut sich Mutter Ronja Bartel. Ihre kleine Tochter kam zu früh auf die Welt, mit nur 2.200 Gramm Gewicht. Musiktherapeutin Uta Jordan hat ihr großes Klanginstrument mitgebracht, lässt ihre Finger über die Saiten der Körpertambura gleiten und summt. "Die warmen Klänge beruhigen", weiß die 57-Jährige, die seit drei Jahren für Frühgeborene auf der Intensivstation des Westküstenklinikums Heide in Schleswig-Holstein arbeitet.

Ihre Musik lässt den schnellen Herzschlag der Kleinen langsamer werden, die Atmung wird ruhiger, manche Babys scheinen zu lächeln. Ida ist längst eingeschlafen. Bei ihrer Arbeit geht es Jordan nicht nur um die Kleinen. "Die Klänge haben auch eine beruhigende Wirkung auf die Eltern", sagt die Musikerin, die zum Mitsummen oder Singen animiert.

Sind Babys noch an piependen Geräten angeschlossen, würden sich Mütter und Väter oft große Sorgen machen. "Wenn sie für ihr Kind singen können, kommen sie sich nicht mehr so hilflos vor", hat sie beobachtet. Durch die Musik könnten sie sich selbst und ihr Kind besser spüren. Uta Jordan, die Musiktherapie studiert hat, will mit ihren Instrumenten und Liedern auch trösten. Oft hört sie zu. Musik bringe immer wieder Eltern dazu, offen über ihre Ängste zu sprechen.

Dass solche Anwendungen für Frühgeborene und ihre Familien eine wertvolle Hilfe sein können, hätten Studien belegt, heißt es von der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG). So werde die Hirnentwicklung der Frühgeborenen gefördert und die Bindung zwischen Eltern und Kind gestärkt. "Diese Nähe ist ein wesentlicher Faktor für eine bessere Entwicklung der Kinder nach ihrem schwierigen Start ins Leben", sagt DMtG-Vorsitzender Lutz Neugebauer.

Positiver Effekt bei Traumata

Studien zeigten zudem positive Effekte bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die traumatische Erfahrungen durch familiäre Gewalt, Flucht oder Krieg gemacht haben. Neugebauer: "Musiktherapie findet Zugänge jenseits der Muttersprache und überwindet Sprachbarrieren." Bei Menschen mit Krebsdiagnose könne die Therapie psychische Begleiterscheinungen wie Depressionen und Angst lindern. "Auch bei Demenzen hilft Musiktherapie gegen Angst, Unruhe und Apathie", sagt der Professor und Gründer des Nordoff-Robbins-Zentrums für Musiktherapie im nordrhein-westfälischen Witten.

Schon seit der Antike wird der Musik gesundheitliche Heilkraft zugesprochen. Doch erst seit den 1950er Jahren gibt es solche Angebote in deutschen Krankenhäusern. Heute seien Musiktherapeutinnen und -therapeuten an bundesweit jeder dritten Klinik beschäftigt, schätzt die Musiktherapeutische Gesellschaft. Die Therapie zähle "zum bewährten Behandlungskonzept bei Angststörungen, Depressionen, Suchtproblematiken oder bei Folgen von Einsamkeit und Isolation". 

Es fehlt ein Berufsgesetz

Aber der Berufsstand kämpft um Anerkennung: Musiktherapie wird mit Einschlaf-Videos verwechselt, es fehlt ein Berufsgesetz, ambulante Anwendungen werden nicht von Krankenkassen bezahlt. "Aktuell kann sich jeder 'Musiktherapeut' nennen - egal, ob er nur einen Wochenendkurs oder ein jahrelanges Studium absolviert hat", kritisiert Neugebauer. Die Musiktherapeutische Gesellschaft vergibt nach einer Zertifizierungsprüfung die Berufsbezeichnung "Musiktherapeut/in DMtG". Neugebauer fordert als ersten Schritt eine Richtlinie für künstlerische Therapien des Krankenkassen-Bundesausschusses, damit auch ambulante Leistungen erstattet werden können.

Der GKV, der Spitzenverband gesetzlicher Kranken- und Pflegekassen, verweist auf epd-Anfrage auf die Heilmittelrichtlinie. Demnach zählen Musik- und Tanztherapie im ambulanten Bereich nicht zum GKV-Leistungskatalog, da es keine ausreichenden Nachweise zum therapeutischen Nutzen gebe. Im Rahmen der stationären Versorgung jedoch könnten Kreativ-Therapie-Angebote durchaus eine Leistung der gesetzlichen Kassen sein, erklärte eine Sprecherin.

Der Bedarf ist da: Uta Jordans Terminplan ist voll, sie arbeitet für Demenzerkrankte in einem Pflegeheim, bietet ambulante Stunden für Kinder, leitet eine Krebspatientinnen-Gruppe bei der Reha-Kur und engagiert sich für Kirchenmusik. Im Westküstenklinikum ist sie nicht nur auf der Frühgeborenen-Station gefragt. Mit ihrem Instrumente-Wagen kommt sie seit zehn Jahren in die Schmerzklinik, seit 17 Jahren auf die Palliativstation und seit kurzem auch in die Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Musik hilft überall dort, wo Sprache an Grenzen stößt", sagt Jordan, die vier erwachsene Kinder hat.

Auf Wunsch bleiben die Instrumente auf dem Wagen und sie holt Liederbücher oder das Gesangbuch hervor. Für Jordan ein Selbstgänger: "Ich liebe Singen, schon mein ganzes Leben lang." Manche Patientinnen oder Patienten wollen gemeinsam Lieblingslieder hören. "Da sind dann auch Schlager dabei", sagt sie und schmunzelt. Die höre sie sonst nicht. Neue Inspiration für ihre Arbeit holt sie sich bei Konzertbesuchen, wie kürzlich beim Metal-Festival in Wacken. "Das war mal etwas ganz anderes."