Funda Eryurt sitzt in ihrem Büro im Zentrum für Islamische Theologie. Sie gehört zum ersten Jahrgang, der in Tübingen im Jahr 2011 begann, Islamische Theologie zu studieren. Damit ist sie bundesweit eine der ersten islamischen Theologinnen, die an einer deutschen Universität ausgebildet wurde.
Doch nicht nur das ist besonders: Sie hat ein Hobby, das ins Auge fällt, wenn man durch die Flure des Neubaus geht: Dort sind an den Wänden neben islamischen Kalligrafien auch sechs Kunstwerke ihrer Tezhip-Kunst zu sehen:
Kunstvoll gezeichnete Ornamente und Blumen, die in klarer Symmetrie angeordnet sind, im Stile der islamischen Buch- und Ornamentmalerei.
"Tezhip" ist ein türkisches Wort, das aus dem Arabischen stammt und wörtlich "vergolden" bedeutet, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Koranwissenschaften. Schon recht früh nach der Entstehung des Islams sei damit begonnen worden, Koranhandschriften kunstvoll zu verzieren - eine Entwicklung, die bis heute andauert und sich ständig verändert.
Unterschiedliche Stile entstanden: Im osmanischen Raum wurde viel mit den Farben gold und blau gearbeitet, in Nordafrika bildeten sich geometrische Muster heraus, und eine ausgeprägte florale Kunst entstand im asiatischen Raum. Auch einen europäischen Tezhip-Stil gibt es, der sich an den Stil des Barocks und Rokoko anlehnt und für den Pastell-Farben und große Blüten kennzeichnend sind, weiß die Künstlerin.
"Schon in der Schulzeit habe ich in meine Hefte Blümchen und Ornamente gemalt, ohne dass ich etwas von der Tezhip-Buchkunst wusste", erklärt Eryurt die Anfänge ihres Schaffens. Eine Zeit lang habe sie arabische Kalligrafie praktiziert, wo sie dann auch die Tezhip-Kunst für sich entdeckte.
Zu Beginn sei es für sie nicht leicht gewesen, eine Lehrerin oder einen Lehrer für diese Kunst zu finden, da diese in Deutschland wenig verbreitet ist. Erst über Umwege habe sie eine Lehrerin aus der Türkei gefunden, die sie im Online-Unterricht in die traditionellen Künste der islamischen Illumination einführte.
Klar vorgegebene Schritte sind zu beachten, wenn man ein Tezhip-Kunstwerk erstellen will: Zuerst wird ein Entwurf des Bildes auf Transparentpapier gezeichnet - das sogenannte Skelett, in dem bereits auf die Abstände und Symmetrie des Kunstwerks geachtet wird. Ist man mit diesem Rahmen zufrieden, wird er mit Bleistift auf das Papier übertragen. Beim Ausmalen beginnt man immer mit der Farbe Gold, danach folgen die anderen Farben, für die man entweder Aquarellfarben oder Gouache verwendet. In einem nächsten Schritt werden mit schwarzer Tusche die Konturen der Blumen oder Schnörkel gezeichnet. Anschließend folgen die Farben des Hintergrundes.
Ein solches Kunstwerk zu zeichnen, ist sehr aufwendig: Mindestens 40 Stunden Arbeit stecken in einem Bild, das Eryurt zeichnet. Eigentlich sei sie kein geduldiger Mensch, aber sie sieht die Arbeit auch als Charakterschulung an: "Die Kunst bringt mir selbst Demut und Geduld bei, denn ich lerne, dass alles seine Zeit braucht."
Häufig hat die islamische Theologin mit Koranhandschriften zu tun. Denn in ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit der arabischen Sprachentwicklung in der Zeit der Entstehung des Islams. Wenn sie dann auf sogenannte Schmuckblätter stößt, der ersten Seite eines Korans, in die die Künstler all ihr Können gelegt haben, dann kann sie viel mehr erahnen, "wie viel Mühe und Schweiß hinter einem solchen Kunstwerk steckt."
Sie selbst versucht alle Stile, die sie kennt, anzuwenden und zu kombinieren. Auch die Reisen in andere Länder und Entdeckungen in der Bergwelt bei Gratwanderungen, die sie sehr gerne macht, inspirieren sie für ihre Werke, erzählt sie.
Eine Tulpe für die Einheit Gottes
So hat sie unter anderem eine Tulpe gemalt mit drei roten Blüten und geschwungenen Blättern, die aus unzählig vielen Pinselstrichen besteht und dadurch sehr filigran und natürlich aussieht. Die Blume ist umgeben von einem goldenen Medaillon, das wiederum von sonnenstrahlähnlichen Ornamenten mit runden Wölbungen eingefasst ist. "Die Tulpe wird im Sufismus und der osmanischen Kunst oft als Symbol für die Einheit Gottes interpretiert", erklärt sie.
Bereits jetzt hat die Künstlerin immer wieder Aufträge von Kalligrafen, die sich wünschen, dass sie ihre islamischen Schriftzüge durch Tezhip-Kunst ergänzt. Ihr Traum wäre, dass sie ihre Freude an der islamischen Buch- und Ornamentmalerei mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit verbinden kann, indem sie beispielsweise über islamische Kunst forscht. Oder ein Atelier beziehungsweise Café eröffnet, das auch Tezhip-Kurse anbietet.
Funda Eryurt macht es Freude, Schritt für Schritt ihre Verzierungen und Blumen aufs Papier zu bringen. "Wenn ich fertig bin, bin ich erst einmal erleichtert und sage "Gott sei Dank!" Doch wenn das Bild dann an der Wand hängt, bin ich glücklich und denke: "Oh wie schön, da hat sich jede Minute Arbeit gelohnt!"