Sarah und Mathias Mainholz sind vom Feiern noch etwas müde, als sie am späten Morgen die Eine-Welt-Kirche in Schneverdingen betreten. Am Tag zuvor haben sie sich dort trauen lassen - 28 Jahre nach ihrer standesamtlichen Hochzeit. Mathias Mainholz schlägt eine freie Seite im Gästebuch der evangelischen Kirche auf. Er sagt: "Es war einer der schönsten Momente in unserem Leben." Ihnen sei wichtig, das auch zu dokumentieren, fügt seine Frau an: "Wir wollen uns irgendwie dankbar zeigen, etwas hinterlassen."
Gästebücher in Kirchen stehen in einer Tradition, die weit zurückreicht, wie der Eichstätter Theologieprofessor Jürgen Bärsch erläutert: "Schon im frühen Mittelalter haben Menschen in den Kirchen die Namen von Verstorbenen notiert und sogar in Altarplatten eingraviert. Mit dem Namen standen aus ihrer Sicht der Mensch und sein Anliegen vor Gott."
Heute finden sich die Bücher vor allem dort, wo Kirchen zumindest in den Sommermonaten auch wochentags für Besucher offen stehen. In der Lüneburger Heide garantieren schon seit einem viertel Jahrhundert viele Kirchengemeinden verlässliche Öffnungszeiten; Kirchen wie in Schneverdingen gehören neben der Landschaft zu den Attraktionen der Region. Die Eine-Welt-Kirche wurde als ein Projekt zur Weltausstellung Expo 2000 aus unbehandelten Kiefern und Eichen gebaut. Im Gästebuch loben viele, was sofort auffällt und einer so formuliert: "Angenehm fand ich den frischen Holzgeruch."
Auch eine weitere Besonderheit der Kirche regt zu Kommentaren im Gästebuch an: Der "Eine-Erde-Altar" der Künstlerin Marianne Greve enthält in Plexiglas eingeschweißte Erdproben aus aller Welt, insgesamt rund 5.600. "Wir haben Erde von der Westerplatte mitgebracht", hat ein Mitglied der "Polnisch-Deutschen Gesellschaft" geschrieben. Auf der Westerplatte bei Danzig begann am 1. September 1939 mit dem Überfall der Deutschen auf Polen der Zweite Weltkrieg. "Wir hoffen, dass wir damit einen Beitrag zur Versöhnung zwischen Deutschen und Polen geleistet haben."
17 vollgeschriebene Gästebücher in Bispingen
Wie die moderne Kirche in Schneverdingen spricht auch die historische "Ole Kerk" keine 20 Kilometer entfernt in Bispingen durch ihre Atmosphäre Gäste an. Der Feldsteinbau liegt am Heidschnuckenweg, einer Hauptwanderroute der Region, sein ältester Teil stammt von 1353. Bauern der damals bitterarmen Region haben die Findlinge dafür von ihren Feldern herangeschafft, so erzählt es Kirchenführerin Christa Dittmer den Besuchergruppen.
Der Bispinger Pastor Frank Blase hat alle 17 bisher vollgeschriebenen Gästebücher der Gemeinde durchgesehen. "Sie sind so etwas wie ein Briefkasten an Gott", sagt er. Das Älteste ist aus dem Jahr 1998. In dem Neusten, das in der Kirche ausliegt, hat zuletzt eine Catrin ihre Botschaft hinterlassen: "Ruhe, Frieden, Sorgenfrei, Natur - all das spüre ich auf meinem Wanderweg - Orte wie dieser erfüllen mich mit sooo vielen guten Gedanken, stärken mich."
In Lebenskrisen Trost finden
In den Büchern finden sich Einträge auf Chinesisch, Französisch, Spanisch und Plattdeutsch. Manche zeugen von der Auseinandersetzung mit Lebenskrisen. "Hallo, ich bin wieder da und brauche Trost", schreibt jemand und offenbart für alle lesbar eine große Einsamkeit. Ein Kind hat geschrieben: "Ich komme oft hierhin, wenn ich mit meiner Oma über meine Probleme sprechen möchte." Und ein Paar "auf der Durchreise" hat hinterlassen: "Unsere Gedanken sind bei einem Freund, der gerade schlechte Nachrichten für seine Gesundheit erhalten hat."
Mal wirken Einträge tief, wie: "Liebe Großmutter, ich gebe dir deine Schuld, Trauer und Einsamkeit zurück. Ich habe lange mit ihnen gekämpft." Andere sind salopp formuliert: "Drück mir die Daumen, dass die Wohnung klappt." Und obwohl das Buch öffentlich ausliegt, traut sich Hans (85) aus Hamburg darin zu gestehen: "Ich habe hinter der Kirche geschissen. Tut mir leid!" Die Bücher erzählen Familiengeschichte: "Mein Vater war 1957 mal in der Lüneburger Heide und hat eine Aufnahme von dieser Kirche in Bispingen gemacht." Und sie reflektieren Weltgeschichte: "Waren heute in Bergen-Belsen. Und haben in den Abgrund des Bösen geblickt. Die Welt braucht mehr Mahnung und Menschlichkeit."
Wenn Kirchenführerin Christa Dittmer Gruppen in der "Olen Kerk" begrüßt, zündet sie zunächst eine Kerze an. Dann bittet sie die Gäste, sich zu setzen. "Sie sollen zur Ruhe kommen", sagt sie. Am Ende des Besuches sprechen dann manche ein Gebet, so hat es Pastor Frank Blase beobachtet. Einige hinterlassen ihre Bitten noch einmal im Gästebuch. "Hier bete ich für meine Familie und für einen Weltfrieden", steht dort unter anderem.
Das Ehepaar Mainholz, das am Morgen nach der Hochzeit nochmal in die Eine-Welt-Kirche in Schneverdingen gekommen ist, erinnert sich an seinen ersten Besuch hier bei einem Gottesdienst am Ostermorgen. "Das war wahnsinnig ergreifend", sagt Sarah Mainholz. "Wir dachten, wenn wir noch kirchlich heiraten, dann hier." Das haben sie getan - "nach 30 Jahren Liebe", wie ihr Mann nun ins Gästebuch der Kirche schreibt.