TV-Tipp: "Der Nachname"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
28. Juli, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Nachname"
Wie schon der Sönke Wortmanns erster Film - "Der Vorname" - bietet auch der zweite ein regelrechtes Feuerwerk an erlesen formulierten und perfekt vorgetragenen Bosheiten, die zuweilen in ausgesprochene Bösartigkeit eskalieren.

Jeder Mensch hat Geheimnisse. Manche sind harmlos, andere können ganze Familien zerstören. Dunkle Geheimnisse sind stets auch eine Last; entsprechend befreiend kann es sein, sich diese Bürde von der Seele zu reden. Dabei ist natürlich entscheidend, wen man ins Vertrauen zieht: Ein Geheimnis, das keins mehr ist, macht angreifbar; und deshalb artet dieser Film schließlich in ein Hauen und Stechen aus, in dessen Verlauf es irgendwann keine Verbündeten mehr gibt. Um es mit dem Titel eines frühen Werks von Werner Herzog zu formulieren: "Jeder für sich und Gott gegen alle."

"Der Nachname" ist die Fortsetzung von Sönke Wortmanns ähnlich schlicht betitelter Komödie "Der Vorname" (2018). Während der Vorläufer auf einem gleichnamigen französischen Theaterstück basierte, hat sich Drehbuchautor Claudius Pläging diesmal nur der Figuren bedient. Beim ersten Aufeinandertreffen von Familie Böttcher hatte Thomas (Florian David Fitz) den Rest der Sippe mit der Nachricht schockiert, seinen Sohn "Adolf" nennen zu wollen. Mittlerweile ist das Kind auf der Welt und eine Tochter namens Paula.

Thomas, dessen Weltbild etwas angestaubt ist, hätte aber gern unbedingt noch einen Stammhalter, damit der Familienname nicht "ausstirbt". Freundin Anna (Janina Uhse) weist ihn nonchalant darauf hin, dass auch das nächste Kind erst mal Wittmann heißen würde: Das Paar ist nicht verheiratet, und sie sieht gar nicht ein, sich seinen patriarchalischen Rollenbildern zu fügen.

Dieser Aspekt ist nur eins der vielen Streitthemen, die die Familie, kaum im Urlaubsdomizil auf Lanzarote eingetroffen, umgehend entzweien. Die Mutter hat im dortigen Ferienhaus mittlerweile ihren Lebensmittelpunkt und die Angehörigen eingeladen, um ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen. Thomas und seine Schwester Elisabeth (Caroline Peters) rätseln, ob Dorothea (Iris Berben) womöglich todkrank ist oder gar ihren Lebensgefährten René (Justus von Dohnányi) ehelichen will.

Dann lieber krank, findet Thomas: René ist als Adoptivsohn der Eltern mit den Geschwistern aufgewachsen. Der Filmtitel nimmt die Lösung vorweg: Die beiden wollen heiraten und die Mutter zudem zu Thomas’ großer Empörung auch Renés Nachnamen annehmen. Aber das ist noch längst nicht das Ende der Neuigkeiten: Die nächste Nachricht ist aus Sicht der Kinder regelrecht skandalös.

Wie schon der erste Film bietet auch der zweite ein regelrechtes Feuerwerk an erlesen formulierten und perfekt vorgetragenen Bosheiten, die zuweilen in ausgesprochene Bösartigkeit eskalieren. Von Pläging, als Autor der "Carolin Kebekus Show" 2021 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, stammen unter anderem die Drehbücher zu den drei "Kurzschluss"-Kurzfilmen mit Anke Engelke und Matthias Brandt, die der WDR in den letzten Jahren an Silvester ausgestrahlt hat.

Auch diesmal ist es vor allem dem Ensemble und natürlich Wortmanns Regie zu verdanken, dass die Dialoge nie deklamiert, sondern stets spontan klingen. Literarisch wertvoll sind vor allem die Sätze von Elisabeths Ehemann, was nicht weiter überrascht, schließlich ist Stephan (Christoph Maria Herbst) Literaturwissenschaftler, weshalb er seine Mitmenschen gern auf grammatikalische Fehler hinweist oder über den korrekten Gebrauch von Sprichwörtern belehrt. 

Abgesehen davon führt Pläging ad absurdum, dass eine Krähe der anderen angeblich kein Auge aushackt: Was sich die Mitglieder der Großfamilie an vorsätzlich verletzenden Verbalinjurien um die Ohren haut, geht stellenweise buchstäblich unter die Gürtellinie. Außerdem machen alle Beteiligten die schmerzliche Erfahrung, dass es sich – trau, schau, wem – bitter rächen kann, die falschen Mitmenschen einzuweihen: Die Bekenntnisse, die sich Stephan und Thomas in haschkeksseliger Vertraulichkeit sowie Elisabeth und Anna in einem Anflug von fraulicher Solidarität gegenseitig gestanden haben, werden ihnen tags drauf prompt hämisch vor die Füße geworfen. 

Damit die Giftpfeile auch ins Ziel treffen, hat sich Pläging einige Rahmenbedingungen ausgedacht, die zumindest in dieser geballten Form selbst in den schlechtesten Familien nur selten vorkommen dürften. Den Mitwirkenden dagegen ist in jeder der hingebungsvoll dargebotenen Szenen anzumerken, wie viel Freude ihnen diese Verwicklungen und die damit verbundenen Dialoge bereitet haben, zumal sie auch bittere Wahrheiten über das Leben jenseits der fünfzig enthalten: Gerade noch, stellt Stephan fest, hast du gedacht, die Welt liegt dir zu Füßen, und dann bist zu plötzlich zu alt, um dich zu bücken; und Elisabeth fühlt sich in der Ehe wie eine übersehene Zimmerpflanze.