Buchtipps für Ihren Lesekreis

Symbolbild: vier Puppenhaus Stühle mit Büchern darauf stehen im Kreis
Katelyn Perry/Unsplash
Zusammen über gelesene Bücher sprechen verbindet.
Blick in die Literatur
Buchtipps für Ihren Lesekreis
Über was spricht man mit der sterbenden Mutter? Wie geht man mit Erfolg um, der auf einer Lüge basiert? Wie findet man seinen verschollenen Vater? Und was, wenn ein Unfall rassistischen Hass auslöst? Vier Bücher für kontroverse Diskussionen für Ihren Lesekreis.

Yelloface

Yellowface. Von Rebecca F. Kuang

Ein Roman über die Literaturbranche, über aktuelle Diskursführung und über die Biegsamkeit der eigenen Moral – spannend und hochaktuell!

June hat es geschafft! Ihr neues Buch hat die Bestsellerlisten gestürmt, ist für mehrere hochkarätige Literaturpreise nominiert, wird im Internet als Schlüsselroman gefeiert. Es gibt nur ein Problem: Sie hat das Buch gar nicht selbst geschrieben, sie hat es ihrer verstorbenen Freundin gestohlen. 
Rebecca Kuang ist mit ihrem Roman eine messerscharfe Analyse des Literaturbetriebs gelungen – klug, durchdacht und teilweise bitterböse. Denn nicht nur muss sich Autorin Juniper Song darum sorgen, als Manuskriptdiebin aufzufliegen, sie hat auch noch ein ganz anders Problem: Sie ist weiß, heißt eigentlich June Hayward und kannte sich zuvor mit dem chinesischen Arbeiterchor gar nicht so gut aus. Das führt in den sozialen Medien schnell zu einem Shitstorm, der sich zu einem literarischen Skandal ausweiten könnte. 

Kuangs genialer Kniff ist es, die Geschichte ausschließlich aus Junes Innenansicht zu erzählen und den Lesenden damit eine unzuverlässige Erzählerin zu präsentieren, die nicht nur die Kritiker:innen, sondern auch sich selbst immer wieder belügt. Das fordert von uns, Junes und auch die eigenen moralischen Vorstellungen ständig zu hinterfragen und neu zu beurteilen. 
Für alle, die einen Einblick in die Literaturbranche wünschen und sich gern an aktuellen Debatten beteiligen. Miriam Weinrich 

Kuang, Rebecca F.: Yellowface. Roman. Rebecca F. Kuang. Dt. von Jasmin Humburg. Köln: Eichborn 2025. 384 S. ; 22 cm.  Aus d. Engl.
ISBN 978-3-8479-0214-0, geb.: 14,00 €

Eigentum

Eigentum. Von Wolf Haas.

Autofiktionales Recherchieren und Trauer über das Sterben und den Tod der Mutter kann auch anders daherkommen. Hier!

Na klar, Wolf-Haas-Liebhaberinnen wissen, wie der Hase laufen wird und freuen sich schon diebisch auf die ersten Sätze. Allen, die dem Wiener noch nicht verfallen sind, wird der Roman unbequem erscheinen. Die Mutter des Autors liegt im Sterben und beauftragt den Sohn, bei den bereits verstorbenen Vorfahren anzurufen und Bescheid zu geben, dass es ihr gut geht, obwohl es ihr doch immer schlecht ging ... Paradox geht es weiter. Denn natürlich wird er sagen, er habe bei den Toten angerufen und lässt Grüße bestellen. Die Reaktion der Sterbenden lässt keine Wünsche offen, die Dialoge sind tiefsinnig und bissig.

Denn im Gespräch mit den Toten wird das Leben gegenwärtig. Das Leben wiederum bestand aus "arbeiten, arbeiten, arbeiten" oder "sparen, sparen, sparen", denn auch Wolf Haas kommt nicht aus einem akademischen Elternhaus, sondern kommt von einer Mutter, der es trotz aller Bauernschläue nicht gelingt, in den Besitz von Grund und Boden zu kommen. Wäre da nicht das Grab. Ein Besitz mit Namen.

Kreis Trauernder, SterbenbegleiterInnen, Menschen, die mit Menschen am Rand des Lebens zu tun haben. Christiane Thiel 

Haas, Wolf: Eigentum. Roman. Wolf Haas. München: Penguin 2025. 160 S. ; 21 cm.  ISBN 978-3-328-11156-6, geb.: 14,00 €

Die spürst du nicht

Die spürst du nicht. Von Daniel Glattauer.

Der tragische Badeunfall eines muslimischen Teenagers hat weitreichende Folgen für die verantwortliche deutsche Familie.

Zwei gut situierte Familien möchten exklusive Ferien in der Toskana verbringen. Die 14-jährige Sophie Louise wird begleitet von ihrer Schulfreundin Aayana, einem muslimischen Mädchen, das zwei Jahre zuvor mit ihrer Familie aus Somalia geflüchtet war. Gleich am ersten Abend kommt es zur Tragödie: Aayana ertrinkt von allen unbemerkt im Hotelpool. Wie gehen die Beteiligten mit dem Unglück um? Was kommt auf sie zu? Während Sophie Louise sich in eine ganz eigene Welt zurückzieht, ist ihre Mutter als Politikerin der öffentlichen Meinung ausgesetzt. Pressemeldungen und teils grenzwertige und schadenfrohe Kommentare aus den sozialen Medien ergänzen die weitere Handlung.

Ein sehr hohe Schmerzensgeldforderung spitzt die Situation weiter zu. – Der Autor richtet seinen entlarvenden Blick auf unbequeme, gesellschaftliche Wirklichkeiten und ordnet die ambivalenten Einstellungen zur Flüchtlingsfrage den unterschiedlichen Kulturen und Lebenswelten zu.

Mit viel Empathie verarbeitet der bekannte Autor den brisanten Vorfall gekonnt zu einem dialogstarken, spannenden Roman, der berührt. Sehr empfohlen. Natascha Rothert-Reimann 

Glattauer, Daniel: Die spürst du nicht. Roman. Daniel Glattauer. München: Goldmann 2024. 303 S. ; 21 cm.  ISBN978-3-442-49496-5, geb.: 13,00 €

Paradise Garden

Paradise Garden. Von Elena Fischer.

Nach dem tragischen Tod der Mutter sucht die 14-jährige Billie ihren unbekannten Vater. Eine abenteuerliche Reise beginnt. 

Kein Geld, dafür jede Menge Fantasie! Ich-Erzählerin Billie, 14, und ihre Mutter Marika leben arm, aber fröhlich in einer Hochhaussiedlung. Unvermutet reist die Großmutter aus Ungarn an. Es kommt zum Streit, Marika fällt unglücklich und stirbt. Die untröstliche Billie schnappt sich Marikas klappriges Auto mit dem Ziel, den unbekannten Vater zu finden und ihn zur Rede zu stellen. Tatsächlich trifft sie auf den Vogelbeobachter Ludger. Er weiß, warum Billie so oft vom Meer träumt, obwohl sie noch nie da war.

Man kann der Jury nur gratulieren, die dieses grandiose Debüt in die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2023 aufnahm. Mit wunderschönen Sprachbildern liest man von einer innigen und von einer problematischen Mutter-Tochter-Beziehung. Gleichzeitig kann man einen hinreißenden Coming-of-Age-Roman und eine dramatische Road Novel genießen. Traurigkeit und Hoffnung halten sich die Waage, das Ende versöhnt. Ein weiterer Höhepunkt: Der Liebesbrief am Schluss des herausragenden Buches. Den Namen der Autorin sollte man sich unbedingt merken. Ein Lesehighlight - auch für Literaturkreise hervorragend geeignet! Martina Mattes 

Fischer, Elena: Paradise Garden. Roman. Elena Fischer. Zürich: Diogenes 2025. 352 S. ; 19 cm. ISBN 978-3-257-24775-6, kt.: 14,00 €

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