Frankfurt a.M. (epd). Mehr als 170 Hilfsorganisationen haben eine Rückkehr zu einer von den Vereinten Nationen koordinierten Nothilfe im Gaza-Streifen gefordert. Die Menschen in dem Gebiet müssten derzeit eine unmögliche Wahl treffen: verhungern oder bei der verzweifelten Suche nach Lebensmitteln erschossen werden, erklärten die Organisationen am Dienstag. Die Wochen seit Beginn des israelischen Verteilungsprogramms gehörten zu den tödlichsten und gewalttätigsten seit Oktober 2023.
Vor fünf Wochen haben die israelischen Behörden die Lebensmittelausgabe in vier Verteilungszentren innerhalb der Militärzone konzentriert. Davor gab es 400 Verteilungsstellen von UN und Hilfsorganisationen im gesamten Gebiet für die rund zwei Millionen Palästinenserinnen und Palästinensern. „Dieser Mechanismus ist eine Todesfalle“, sagte Bushra Khalidi von Oxfam.
Die Verteilungen fänden meist nachts statt, die Menschen dürften die Stellen nur über bestimmte Straßen erreichen, die oftmals nicht als Straßen zu erkennen seien, ansonsten würden sie erschossen, sagte der Notfallkoordinator von „Ärzte ohne Grenzen“ in Gaza, Aitor Zabalgogeazkoa. Die Ausgabe dauere nur zehn Minuten, weil das Tor sich öffne und alle versuchten, etwas abzubekommen. „Die jungen Männer sind die Einzigen, die es schaffen.“ Die Menschen würden von den israelischen Streitkräften erschossen, wenn sie zu früh an der Ausgabe seien oder zu lange dort blieben. „Das ist keine humanitäre Hilfe, das ist eine politisch motivierte Operation, um die Menschen zu erniedrigen.“
Laut den Organisationen wurden in weniger als vier Wochen über 500 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet und fast 4.000 verletzt, während sie versuchten, an Lebensmittel zu gelangen oder diese zu verteilen. „Die israelischen Streitkräfte und bewaffnete Gruppen - von denen einige Berichten zufolge mit Unterstützung der israelischen Behörden operieren - eröffnen nun systematisch das Feuer auf verzweifelte Zivilisten, die alles riskieren, nur um zu überleben“, erklärten Hilfs- und Friedensinitiativen aus zahlreichen Ländern wie Großbritannien, Italien, Deutschland, Schweiz, Spanien, USA, Palästina und Israel.
„Die Menschen haben keine andere Wahl, als dorthin zu gehen“, sagte der Direktor des Netzwerkes palästinensischer NGOs, Amjad Shawa. Die Israelis setzten Hunger als Waffe ein und zerstörten gezielt das humanitäre System, das über Jahrzehnte gut funktioniert habe. Bedroht sei nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Helferinnen und Helfer. „Allein letzte Woche haben wir vier Kollegen verloren. Die internationale Gemeinschaft habe von Anfang an versagt, sagte Shawa. “Es sei höchste Zeit, dass sie eingreift. Dieser Krieg muss enden."
Die Initiative forderte Regierungen weltweit dazu auf, sich gegen die von Israel kontrollierte Hilfsgüterverteilung auszusprechen. Die Staaten seien durch internationales Völkerrecht in der Pflicht, gegen diese gravierenden Vergehen wie Vertreibung, wahllose Angriffe und Behinderung humanitärer Hilfe vorzugehen. Die Belagerung des Gaza-Streifens müsse beendet, das Hilfssystem der Vereinten Nationen wieder eingesetzt werden. Zudem forderten die 175 Organisationen, die den Appell bis Dienstagfrüh unterzeichnet hatten, die Staaten auf, keine militärische Hilfe zu finanzieren, die gegen das Völkerrecht verstoße.
Auslöser des jüngsten Nahost-Krieges war der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem Hunderte Menschen getötet und verschleppt wurden. Seit Beginn der israelischen Gegenoffensive wurden Zehntausende Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. Ab dem 19. Januar galt eine Waffenruhe, in deren Rahmen die Hamas mehrere Geiseln freigelassen hat. Israel brach die Feuerpause zwei Monate später mit erneuten Bombardierungen.