Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit im Sterben gehört zu den Schwerpunktthemen, mit denen sich die diesjährige Bremer Messe "Leben und Tod" beschäftigt. Zu den Vortragenden gehört die Bremer Soziologin Sonja Owusu Boakye.
epd: Frau Owusu Boakye, im Volksmund heißt es: Im Tod sind alle gleich. Stimmt das? Und trifft das auch für das Sterben zu?
Sonja Owusu Boakye: Physisch sind alle im Tod gleich, ja. Aber tatsächlich offenbart das Lebensende in besonderer Weise, wie ungleich Chancen verteilt sind: hinsichtlich des Zugangs zu gesundheitlichen Leistungen, im Wissen darüber, in der Versorgungsqualität und in den Bedingungen, unter denen Menschen sterben.
Das hat mit sozialer Ungleichheit zu tun. Kurz gefasst werden einige Menschen gesellschaftlich wegen bestimmter Diversitätsmerkmale bevorzugt und andere benachteiligt: etwa weiße Menschen gegenüber People auf Color, Männer gegenüber Frauen und queeren Personen, Menschen ohne Behinderungen gegenüber Menschen mit Behinderung. Auch das Alter, ein niedriges Einkommen oder geringe Bildung sind Faktoren, die zu Benachteiligungen führen können. Menschen sind vielfältig, aber nicht alle werden als gleichwertig anerkannt.
Was kann das konkret bedeuten?
Owusu Boakye: Sterben - also die Phase, in der Menschen oft auf eine umfassende medizinische Betreuung und soziale Begleitung angewiesen sind - verrät viel über soziale Gerechtigkeit. Denn oft sind gerade diejenigen, die großen Unterstützungsbedarf haben, sozial benachteiligt. So haben Menschen mit einer Behinderung oder einer schweren chronischen Erkrankung häufig besonderen Therapiebedarf und entsprechend hohe Gesundheitskosten. Alleinerziehende wiederum haben nur ein Gehalt zur Verfügung - und meist nur ein niedriges. Denn überwiegend sind Frauen in dieser Situation und können durch ihr Eingebundensein in die familiäre Care-Arbeit oft nur in Teilzeit arbeiten.
Problematisch wird es zum Beispiel auch für Menschen, die komplementäre oder ergänzende Therapien brauchen, die nicht durch die Kranken- oder Pflegeversicherung übernommen werden. Auch wer in ländlichen Gebieten lebt und weite Wege zu einer palliativen Versorgung zurücklegen muss, kann zusätzliche Kosten haben.
Kein Geld für den Sterbefall übrig
Nach dem Aufwand für medizinische Versorgung und Sterbebegleitung kommen schließlich noch die Kosten für die Beerdigung. Und die können schnell teuer werden, wenn eine Sozialbestattung nicht möglich oder auch nicht gewollt ist. Für Menschen, die aufgrund sozialer Benachteiligung ohnehin schon genau rechnen müssen, bleibt am Ende des Monats kaum Geld übrig, um für den Sterbefall vorzusorgen oder die Pflege des Grabes Angehöriger zu bezahlen.
Außerdem kann Trauerbegleitung bisher nur durch Psychotherapeuten mit einer Zulassung der Krankenkasse über die Versicherung abgerechnet werden. Diese Therapeuten sind nicht immer explizit dafür ausgebildet. Kosten für eine spezialisierte Trauerbegleitung müssen möglicherweise privat bezahlt werden.
Was könnte man tun, um Ungleichheiten und ausgrenzendem Verhalten zu begegnen?
Owusu Boakye: Eine einfache Lösung gibt es leider nicht. Soziale Ungleichheiten und diskriminierende Strukturen gibt es ja in vielen Bereichen unserer Gesellschaft, vom Arbeits- und Wohnungsmarkt bis hin zur Bildung. Die sind historisch gewachsen und von Machtverhältnissen geprägt, die benachteiligen. Im Gesundheitssystem ist das nicht anders, es trägt sogar zur Verschärfung sozialer Ungleichheit bei. Zum Beispiel durch Abhängigkeiten, etwa in der ärztlichen und in der pflegerischen Versorgungsbeziehung. Zu verstehen und anzuerkennen, dass es Unterschiede gibt, wäre der erste wichtige Schritt.
Der zweite Schritt wäre - und das tut durchaus weh - sich selbst und das eigene Handeln zu hinterfragen. Wir alle, und da nehme ich mich nicht aus, sind von diskriminierenden Strukturen geprägt und sortieren Menschen, mal bewusst, mal unbewusst, in bestimmte Schubladen ein, machen da ein Label drauf. Das kann zu Vorurteilen führen, die wiederum in Benachteiligung und Diskriminierung münden können.
Gibt es für Sie mit Blick auf das Gesundheitssystem einen ersten großen Schritt, der wichtig ist, um Diskriminierungen abzubauen?
Owusu Boakye: Antidiskriminierungsbeauftragte und Schulungen des Personals im Gesundheitswesen sind Möglichkeiten, für die Thematik zu sensibilisieren. Und es geht noch einfacher: Schon ein Perspektivwechsel kann das Bewusstsein für strukturelle Diskriminierung schärfen. Da reicht die schlichte Frage: Wie würde ich mich anstelle der Person fühlen, wenn so mit mir umgegangen würde? Letztlich geht es darum, Empathie zu zeigen und sich für benachteiligte Menschen einzusetzen, sie gemeinsam starkzumachen - für soziale Gerechtigkeit im Leben und im Sterben.