"Rotes Sofa" mit Julia Klöckner und Christian Wulff

Julia Klöckner beim "Roten Sofa"
Fynn Dressler
Julia Klöckner stellte sich der Diskussion um die Bedeutung der Kirchen auf der Bühne des "Roten Sofas" in Hannover.
Promitalks auf dem Kirchentag
"Rotes Sofa" mit Julia Klöckner und Christian Wulff
Promis, Perspektiven, starke Stimmen: Auf dem "Roten Sofa" sprechen Glaubenspersönlichkeiten, Politiker:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen über Mut, Glaube und Gesellschaft. Heute unter anderem mit dabei: Politikerin Julia Klöckner stellt sich nach ihren umstrittenen Äußerungen über Kirche der Diskussion, Bundespräsident a.D. Christian Wulff und ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. evangelisch.de ist Medienpartner des "Roten Sofas" und fasst das Wichtigste für Sie zusammen.

Julia Klöckner (CDU) hat mit ihrer Aussage, Kirchen würden sich zunehmend wie NGOs verhalten, eine kontroverse Debatte entfacht. Auf dem "Roten Sofa" stellt sich die Politikerin heute der Diskussion mit der EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich und der Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund. epd-Chefredakteur Karsten Frerichs moderiert.

Julia Klöckner hat katholische Theologie studiert. "Ich weiß, dass Kirche unterschiedlich lebt und agiert." In der Corona-Zeit seien die Kirchen selbstverständlich durch die politischen Vorgaben eingeschränkt gewesen. Aber dass Menschen in kirchlichen Einrichtungen nicht beim Sterben von Angehörigen dabei sein durften, "da muss Kirche auch Kritik aushalten können."

Anna-Nicole Heinrich fügt hinzu, dass die ganze Gesellschaft die Irrtümer und Fehler noch nicht aufgearbeitet habe. "Wir sollten uns das nicht nur strukturell fragen, sondern auch ganz persönlich. Welchen Verwandten hätte ich, obwohl ich es wahrscheinlich rechtlich hätte tun dürfen, aber trotzdem auch aus Sorge, irgendetwas falsch zu machen oder jemanden anzustecken, nicht mehr besucht. Wo treten wir da als Kirche einer gesetzlichen Regelung entgegen, das müssen sich die Kirchen fragen, wenn es noch einmal dazu kommt."

Dann kommt Heinrich auf die aktuellen Äußerungen von Klöckner zu sprechen. Klöckner hatte kritisiert, dass die Kirche sich zu sehr ins tagespolitische Geschäft einmischt. "Nur weil wir zu gesellschaftlichen Themen Position beziehen, aus unserem Glauben heraus, machen wir trotzdem auch alles andere. Wir dürften nicht anfangen, geistliches Leben und christliches Handeln und christliche Positionen gegeneinander aufzurechnen." Das habe sie getriggert, so Heinrich.

Klöckner kontert: "Der Punkt ist doch folgender: Warum treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus?" Das sei die Frage des Journalisten gewesen. "Da muss man doch sagen, der Markenkern ist klasse, als Kirche, als Christentum. Aber er kommt anscheinend nicht mehr an." Das gelte für Kirche sowie für die Politik. "Kirche darf keine Partei sein. Parteien kann ich verlassen, abwählen, austreten. Aber Kirche ist schon etwas anderes." Bei den meisten Kritikern, da habe Gott, Jesus und das Evangelium gar keine Rolle mehr gespielt. "Ein bisschen positive Irritation für die eigene Selbstvergewisserung kann überdies nicht schaden."

Julia Klöckner

Jetzt mischt sich Anja Siegesmund ein. "Unsere Losung mutig – stark – beherzt widmet sich der Bibelarbeit, aber auch dem gesellschaftlichen Kontext. Über 70.000 Leute sind hier unterwegs und haben Fragen. Wir müssen uns den relevanten Fragen widmen." Dass der Verfassungsschutz endlich sage, die AfD sei rechtsextrem, darüber müsse doch geredet werden. "Wie kann Politik aussehen, damit unsere Kinder genauso leben können wie wir? Deswegen ist der Kirchentag hochpolitisch. Er ist nicht parteipolitisch, aber es unsere Aufgabe, politisch zu sein."

"Wir stehen hier als drei Christinnen", führt Heinrich weiter aus. "Wir haben alle für unsere Kirche eine Mitverantwortung. Ich würde mir von Politiker:innen wünschen, dass sie auch zeigen, dass sie Christ:innen sind. Das ist das Stichwort für Klöckner. "Das hatte nichts mit meinem Interview zu tun." Sie bittet um Fairness. "Warum treten denn so viele aus der Kirche aus?" Darüber solle doch hier geredet werden. "Ich lege als Politikerin Zeugnis ab", antwortet sie auf die Forderung Heinrichs, sich als Christin zu bekennen. Als Bundestagespräsidentin habe sie in der Antrittsrede gesagt: "Wir sind immer nur die vorletzten, die eine Entscheidung fällen." "So wahr mir Gott helfe", sei ihr Amtseid gewesen. "Natürlich müssen sich Christen politisch äußern." Aber man dürfe doch die Frage nicht aus den Augen verlieren, warum so viele Christ:innen aus der Kirche austreten. Wenn Kirche sich zum Tempolimit äußert, habe das eventuell etwas damit zu tun. "Was ist mit dem ungeborenen Leben und ähnlichen Fragen?" Dazu wünscht sie sich eine lautere Stimmen aus der Kirche. 

Man wisse, warum Menschen aus der Kirche austreten, sagt Heinrich. "Es geht um Sozialisationen, es liegt nicht an den politischen Äußerungen." Kirche müsse weiter mit gutem Vorbild vorangehen. Klöckner wehrt sich wieder: "Ich habe den Kirchentag nicht kritisiert. Ich selbst nehme immer teil. Hier sind Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen. Wann schafft es Kirche eine Relevanz auszubauen, weil sie anders ist als das Alltägliche. Sie muss einen Tick mehr sein. Und dieser Tick mehr ist der Glaube." Zu den großen Sinnfragen solle sich Kirche lauter äußern, wiederholt Klöckner. "Vielleicht muss sie schauen, was nicht nur in der Tagespolitik den Applaus bringt."

Siegesmund antwortet: "Ich stimme zu." Aber sie möchte noch mal an einen Moment erinnern, als Kirche politisch wirksam gewesen war. Als Trump vereidigt wurde habe die US Geistliche Mariann Edgar Budde die richtigen Worte gefunden. "Das sei doch entscheidend gewesen." Anna-Nicole Heinrich sucht die Versöhnung. "Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns nur das herauspicken, was uns nicht passt. Da draußen sind ganz viele Menschen, die genau das machen wie Budde. Es passiert so viel Gutes." Klöckner sagt: "Ich wünsche mir, das wir uns aushalten." Siegesmund hat das Schlusswort. "Wir dürfen mutig sein im Widerspruch, stark in Argumenten und beherzt, wie wir es jetzt gewesen sind."

Sehen Sie sich hier den Talk mit Julia Klöckner auf Instagram an.

Christian Wulff: Meine Lebenserfahrung ist: Unter jedem Dach ein Ach

Im nächsten Interview werfen wir einen Blick auf persönliche Themen. Christian Wulff, Bundespräsident a.D., ist unser Gast. "Herr Wulff, Sie sind Kirchentagsprofi", sagt Ursula Ott, Chefredakteurin von chrismon. "Der Islam gehört zu Deutschland", diesen prominenten Satz hat er bei einem vergangenen Kirchentag gesagt. Ein Satz, der ihn bis heute verfolgt. Wie hat es sich entwickelt mit Deutschland und dem Islam? "Wir haben fünf Millionen Muslime im Land und müssen dafür sorgen, dass die Imame auch hier ausgebildet werden. Wir müssen den Islam in Deutschland gestalten." 

Heute ist der 3. Mai, der Tag der Pressefreiheit, sagt Ott. "Was haben Sie für eine Mediensozialisation?" "Ich freue mich über diese Frage", antwortet Wulff. "Denn wir haben alle noch nicht begriffen, was Soziale Netzwerke für uns bedeuten." Wie das Internet unser Leben verändern werde, das sei längst noch unklar. "Meine sozialdemokratischen Eltern und Lehrer haben mich geprägt, Kirche und Zeitung, die ich haptisch in den Händen hielt. Das fehlt jungen Leuten heute", sagt er. 

Christian Wulff

Wulff musste früh im Leben Verantwortung übernehmen, weil seine Mutter an Multiples Sklerose erkrankt war. Er sei 14, 15 gewesen, als die Krankheit der Mutter schnell voranschritt und hat Verantwortung für die Geschwister übernommen. "In späteren Herausforderungen führte das zu einer Resilienz", sagt Wulff. Er werde in dieser Eigenschaft oft als Ratgeber angefragt. "Meine Lebenserfahrung ist: Unter jedem Dach ein Ach. Wenn wir mehr Respekt hätten, wäre das Leben leichter zu bewältigen." 

Das große Thema auf dem Kirchentag lautet: Kirche soll sich nicht einmischen. "Ich bin der festen Überzeugung, dass zwischen dem Privaten und dem Staat das Wichtigste die Zivilgesellschaft ist. Das sind vor allem die Kirchen." Wenn im Parteinamen "Christlich" vorkomme, dann liege die Bedeutungshoheit doch klar bei den Kirchen.

Wulff sei berührbar, sagt Ott. Seine Rede zur Befreiung von Buchenwald emotional. "Das Thema lässt mich nicht los. Neben der Zeitung sind es die Eltern, die prägen." Sein Vater habe schon mit ihm diskutiert, als er ein zehnjähriger Bub war. "Kümmert euch um die Demokratie, das müssen wir unseren Kindern sagen. Denn so wie jetzt, fing es auch damals an." Das sei sein Lieblingssatz von Margot Friedländer. Wenn man Menschen zu Sündenböcken deklariert, dann ist es nicht mehr weit bis zum nächsten Schritt. Darüber spricht er in Schulen und Gewerkschaften, es ist ihm ein Herzensanliegen.  "Junge Menschen brauchen Mentorenschaft", sagt Wulff. Sie bräuchten jemanden, der an sie glaubt. So sollten ältere Menschen sich um syrische und andere jungen Menschen kümmern. 84 "Mentis" habe er selbst. "Das ist das beste, das ich empfehlen kann."

Heribert Prantl: Ich hätte gerne noch viel mehr Einfluss

Für pointierte Positionen ist Autor, Journalist und Kolumnist, Heribert Prantl, bekannt, der heute nach Christine Strobl den Medienbereich auf dem "Roten Sofa" vertritt. Prantl sorgte zuletzt unter anderem mit seiner Forderung nach einem AfD-Verbotsverfahren für Aufsehen. Außerdem kritisierte er die Kirchen für ihr aus seiner Sicht zu angepasstes Verhalten in der Corona-Pandemie.

Prantl ist ein junggebliebenes Urgestein im Journalismus und legendär. Kennt er alles schon, was er in der Zeitung liest? Immerhin orientieren sich viele Journalisten an seinen Kommentaren. "Ich hätte gerne noch viel mehr Einfluss." Er erinnert sich an die Corona-Zeiten. Er sei ein Prediger der Demokratie und habe die Politik damals als Grundrechte verachtend empfunden. "Wir müssen lernen, wie wir mit solchen Pandemien umgehen." 

Heribert Prantl

Ursprünglich war Prantl Richter. "Die Juristerei ist spannend", erzählt er. Er habe aber ganz früh als Journalist gearbeitet und parallel zum Studium eine Journalistenausbildung gemacht. Das Rechtsanwaltsdasein habe keinen Spaß gemacht, auch als Richter und als Staatsanwalt war er nicht richtig glücklich. Dann kam das Angebot der Süddeutschen Zeitung und er habe zugesagt. Auch Pastor hätte er werden können. "Sie sind ja ein Prediger", höre er tatsächlich oft. Er legt Wert darauf, gegen den Strom zu schwimmen und zu schreiben. "Aber man darf nicht erwarten, dass der Strom seine Richtung ändert."

Prantl kamen alle großen Politiker vor die Feder. Tickt man als Politiker anders, fragt ihn der Moderator. "Sie sind genauso eitel wie wir", sagt Prantl. 35 Jahre ist er schon Journalist und hat vieles erlebt, dass er auch in seinem Buch "Mensch, Prantl" erzählt. Edmund Stoiber habe Prantl seiner Frau vorgestellt mit den Worten: "Das ist mein Lieblingsfeind".

Es geht weiter mit der Einstufung der AfD als rechtsextrem: Ist das hilfreich? "Diese Partei ist immer radikaler und extremer geworden." Ein klares Ja seitens Prantl. "Demokratie ist für mich mehr als eine Kiste, in die wir eine Stimme werfen. Demokratie ist für mich eine Wertegemeinschaft." Diese Werte seien im Grundgesetzt verankert. "Uns als Journalisten ist es nicht gut gelungen zuzuhören und zu werben. Es gibt da Probleme, ohne Zweifel." Man dürfe der AfD nicht nachlaufen. Kirche müsse heute den Kernsatz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" immer wieder neu übersetzen. Christ:innen müssten Stellung beziehen, das sei Politik. Dass sich Kirche in Politik einmische, sei folglich in der Natur der Dinge.

Christine Strobl: Unsere Aufgabe ist es, Fakten zu liefern

Den Auftakt am heutigen Samstag auf dem "Roten Sofa" gibt Christine Strobl. Sie ist eine der einflussreichsten Medienmanagerinnen Deutschlands und seit Mai 2021 Programmdirektorin der ARD. Als Tochter des früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble kennt sie die politischen und gesellschaftlichen Debatten des Landes seit frühester Kindheit.

Christine Strobl sorgte im Januar 2025 zuletzt für Schlagzeilen. Strobl verteidigte die ARD gegen teils heftige Kritik an der geplanten Moderation von Thilo Mischke bei "ttt" und kritisierte die aufgeheizte Debattenkultur.

Christine Strobl

Es wird sogleich politisch auf dem "Roten Sofa". Die AfD ist laut Bundesverfassungsgericht "gesichert rechtsextrem". "Warum sind die Öffentlich-Rechtlichen in diesem Milieu so verhasst?", wird Strobl gefragt. "Ich glaube, dass grundsätzlich zu beobachten ist, dass in der Demokratie der Öffentlich-rechtliche Rundfunk eine große Rolle spielt", sagt Christine Strobl. In allen Ländern könne man diesen Zusammenhang sehen. "Unsere Aufgabe ist es , Fakten zu liefern, zu kontextualisieren." Es seien die Menschen, die es nicht gut mit der Demokratie meinen, die gegen diese Medien seien.

Man müsse aber dennoch der AfD Raum in der Berichterstattung geben. "Wir reden immer noch über eine Partei, die demokratisch legitimiert ist. Es ist unsere Aufgabe, alle Meinungen abzubilden." Die journalistischen Kolleg:innen müssten sich weiter inhaltlich mit den Parteien auseinandersetzen und kritisch hinterfragen, so schwer das im Einzelfall auch fallen könne. "Wir sind dazu verpflichtet. Und ich sehe darin auch eine Chance", um die Menschen umfassend informieren zu können. 

Das Problem sei doch, dass AfD-Wähler:innen nicht interessiert an den "Schweinereien" der AfD seien, so der Moderator. "Das ist genau die Herausforderung, vor der wir stehen", so Strobl. Man dürfe nicht resignieren. "Es ist unsere Aufgabe, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und deren Themen zu Wort kommen zu lassen." Man bemühe sich mit allen Mitteln, die zur Verfügung stünden, auf Missstände hinzuweisen und alle Meinungen abzubilden, damit sich jeder gehört fühlte. Alles andere sei keine Methode der Demokratie. "Unsere Aufgabe ist es, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen." 

Wird die AfD irgendwann Einfluss auf das Programm durch personelle Präsenz in den Rundfunkräten spielen? "Mein Eindruck bis jetzt ist es, dass sie inhaltlich keine große Rolle spielen." Man gehe mit den AfD Vertretern daher normal um. "Man kann Auseinandersetzungen führen. Ich setzte darauf, dass man auch  Überzeugung gewinnen kann." Man könne immerhin keiner Redaktion vorschreiben, was sie berichtet. "Da sind wir geschützt. Und das ist auch gut so."

In der Verkündigungssendung "Das Wort zum Sonntag" seien Muslime nicht vorgesehen, das seien zirka sechs Millionen Menschen, sagt der Moderator. "Wie kann das geändert werden?" Aus dem Publikum ruft es: "Warum soll das überhaupt geändert werden?" Die Verkündigungssendungen seien etwas ganz Besonderes. Es sei in den Staatsverträgen so verankert, daran könne man nichts ändern, so Strobl. "Wir beschäftigen uns mit anderen Religionen auf andere Weise." Man solle eher auf die Konfessionslosen mehr eingehen, so Strobl. Sie bezeichnet sich selbst übrigens als protestantische Katholikin. 

Hier geht es zu unserer kompletten Berichterstattung vom "Roten Sofa" in Hannover.