Lexikon für Systematische Theologie geht online

Portrait von Frederike van Oorschot
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Dr. Frederike van Oorschot sagt über SysLex: "Es ist ein Wiki, für alle, die wissenschaftliche Qualität finden wollen, speziell im Bereich der Systematischen Theologie."
Theologisches Wissen im Netz
Lexikon für Systematische Theologie geht online
Was bedeutet das Abendmahl heute und wie war es damals? Welche Bibelstellen lassen sich dazu belegen? Wer theologisch versierte Antworten haben will, soll sie jetzt bei SysLex finden. Dr. Frederike van Oorschot, ist Leiterin des Arbeitsbereichs "Religion, Recht und Kultur" am Institut für interdisziplinäre Forschung (FEST) einer Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft und Mitherausgeberin des Online-Lexikons. evangelisch.de-Redakteurin Katja Eifler sprach mit ihr über die Begeisterung an Wissen, den Wert von verständlicher Sprache und darüber, dass das Online-Lexikon ein Werk sein wird, das nie vollendet ist.

evangelisch.de: Ist SysLex das neue Wikipedia für christliches Wissen?

Frederike van Oorschot: Ich würde ein Ja und ein Nein antworten. Ein Ja, weil es so vernetzt funktioniert wie Wikipedia. Mit der Verlinkung zwischen verschiedenen Artikeln im Lexikon und auch der Verlinkung nach außen zum wissenschaftliche Bibellexikon und dem Religionspädagogischen Lexikon und anderen wissenschaftlichen Nachschlagewerken im Internet. Dazu kommt, dass wir auch Podcast, Videos und anderes Material einbinden und viele kurze Artikel haben, ähnlich wie bei Wikipedia.

Und das Nein: Es ist ein fachwissenschaftliches Projekt, das heißt, es gibt eine Qualitätssicherung mit einem Peer Review (Anmerkung der Red. Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit durch unabhängige Gutachter:innen, Wissenschaftler:innen desselben Fachgebiets). Anders als die Jedem zugängliche Korrekturmöglichkeit von Wikipedia. Wir konzentrieren uns nur auf den Fachbereich Systematische Theologie. Anderes christliches Wissen, wie beispielsweise zur Religionspädagogik oder zu den Bibelwissenschaften, ist ja schon online. Wir wollen das alles vernetzen und eine Lücke schließen. Es ist ein Wiki, für alle, die wissenschaftliche Qualität finden wollen, speziell im Bereich der Systematischen Theologie.

 

Verstehe ich denn auch ohne ein Studium, was sie dort an Begriffen erklären oder einordnen? 

Oorschot: Ja, denn die systematische Theologie, ist ja im Kanon der theologischen Fächer dafür da, die Begriffe und Denkkonzepte, die in der Tradition gewachsen sind, zu erklären und auch irgendwie für heute plausibel zu machen. Von daher ist es eine ganz zentrale Aufgabe, die Begriffe wirklich zu erläutern. Unser Ansatz ist Open Access, SysLex ist eine Möglichkeit, eine erste Einführung zu einem Begriff zu erhalten, z.B. was meint der Begriff Auferstehung, oder was für Debatten sind mit Abendmahl verbunden? Das erschließt sich nicht immer direkt.

Das heißt, es ist eigentlich für jeden Interessierten nicht nur zugänglich, sondern auch lesbar?

Oorschot: Es hat den Anspruch, ähnlich wie die beiden anderen jetzt schon genannten wissenschaftlichen Online-Lexika lesbar und verständlich zu sein. Wir werden voraussichtlich auch ein Glossar anlegen, um den Zugang zu erleichtern. Kirchenvorsteher:innen, Diakon:innen oder Religionslehrkräfte und Pfarrpersonen und alle, die in diesem Feld Haupt- und ehrenamtlich tätig sind oder sich einfach nur für Theologie interessieren, für die soll es einen Nutzen bringen. Das ist zumindest der Anspruch. Dafür haben wir sogar Tests mit diesen Zielgruppen gemacht.

Was ist der Ansatz für die Praxis?

Oorschot: Also es ist vor allem ein textbasiertes Lexikon, was fachlich geprüftes Hintergrundwissen vermittelt, wenn Sie beispielsweise eine Unterrichtseinheit gestalten wollen oder einen Gottesdienst vorbreiten oder sich einfach für ein Thema interessieren. Dazu bieten wir eingebundene Podcasts und Videos, Grafiken oder Bilder, sodass Sie dann für Ihre Unterrichtseinheit oder für den Konfirmand:innenunterricht auch frei nutzbares Material finden, mit dem Sie weiterarbeiten können. Von daher ist es auch der Versuch einer Einführung in die Vielfalt der Online-Welt.

Können sich Forschende an SysLex beteiligen?

Oorschot: Wir haben verschiedene Formen von Beteiligung, für die man sich bei uns melden kann. Alle Artikel sollen regelmäßig überarbeitet werden, vorhandene Versionen werden hinterlegt, sodass es nachvollziehbar ist, was sich verändert hat. 

Wie kam es zu dieser Idee? Das klingt ja nach immens viel Arbeit...

Oorschot (lacht): Ja, das ist ein immenser Haufen an Arbeit. Entstanden ist die Idee 2020 aus einem Tweet bei Twitter, in dem sich ein Kollege aufregte, dass wir in der systematischen Theologie gar nichts Vergleichbares online haben wie andere Fachgebiete, was sozusagen diese Art von Einführung ermöglicht. Ich habe dann alle, die sich dazu geäußert haben, eingeladen, und gefragt: "Sollen wir das nicht ändern?" Wir haben viel diskutiert und unsere Gruppe wuchs auf immer mehr Leute an.

"Entstanden ist die Idee 2020 aus einem Tweet bei Twitter"

Dann sind wir gestartet, haben die technische Infrastruktur und Geldgeber:innen gefunden und losgelegt. Seit vier Jahren arbeiten wir dran und jetzt ist es so weit: Wir sind online!

Warum haben sie diesen problemorientierten Ansatz gewählt?

Oorschot: Wir wollen erklären, welches Problem löst eigentlich ein Begriff. Warum reden wir über sowas wie Sünder? Was ist das Problem, das dieser Begriff versucht zu beschreiben? Alle Artikel sollen mit dieser Hinführung beginnen, nicht mit einer historischen Herleitung, nicht mit einer begrifflichen Herleitung, sondern mit dieser Frage, auf welches Problem reagiert der Begriff. 

Das ist also ein sehr konstruktiver Ansatz?

Oorschot:  Genau. Er ist verbunden mit der Konstruktiven Theologie, die ja genauso arbeitet, und das ist der Versuch, das in einem Lexikon umzusetzen. Bleiben wir mal beim Begriff Sünde. Was ist das Problem, auf den dieser Begriff reagiert? Es ist der Versuch zu beschreiben, warum Dinge nicht so sind, wie man sie sich vorstellt, dass sie sein sollten. Und dann geht es systematisch logisch weiter, in die historische Beleuchtung und in die Beispiele. Dann kommt man vielleicht zur Frage nach Heil oder Erlösung, oder man fragt nach Gerechtigkeit und wie oder ob diese möglich ist. Und so kann man sich dann weiter klicken und die Denkfäden aus der systemischen Theologie nachvollziehen.

Ist es denn nicht klar, wie ich als Christ:in zu leben habe? Muss ich alles erst mal wissenschaftlich durchdenken?

Oorschot: Na ja, wie ich zu leben habe, ist eine Frage der Ethik. In den ethischen Artikeln geht es um eine Orientierung zu einem entsprechenden Thema und den zentralen Argumenten – Ethik ist die wissenschaftliche Reflexion und es geht erst im nächsten Schritt um die Anwendung im Alltag.

"Wir versuchen zu helfen, zu einer eigenen Position zu kommen."

Und dazu werden auch Debatten in der Kirche geführt, die stellen wir dar. Denn, so einfach ist es dann nicht. Fragt man drei Christ:innen, hat man drei Antworten. Ähnlich ist es im dogmatischen oder auch religionsphilosophischen Teil, wo es dann eher um die Denkmodelle geht. Wie stell ich mir das eigentlich vor? Es ist nicht immer alles so eindeutig, wenn man 2000 Jahre Kirchen- und Theologiegeschichte vor sich hat. Es braucht Abwägungsprozesse. Wir versuchen zu helfen, zu einer eigenen Position zu kommen. 

Wie wurde über die Begriffe, die sie listen, entschieden?

Oorschot: Wir haben eine Hilfskraft gebeten, alle Fachlexika zusammenzutragen und die Stichworte zu vergleichen. Wir kamen auf über 1500 verschiedene Begriffe. Dann haben wir die ausgewählt, die uns relevant erschienen, und sie um aktuelle Begriffe, zum Beispiel zum Thema Gender, Frieden oder Familie erweitert. Es gibt aber eine Rubrik, in der man weitere Begriffe vorschlagen kann. Zum Start haben wir jetzt über 50 Artikel, knapp 300 weitere werden gerade geschrieben, geprüft oder noch mit zusätzlichem Material versehen.

Was begeistert die Beteiligten, mitzumachen?

Oorschot: Wir sind jetzt 13 Leute. Wir alle haben ein großes Interesse daran, dass über systematische Theologie gesprochen wird, auch in anderen Fächer. Wir haben dasselbe Problem in der Theologie wie überall in den Wissenschaften, dass Debatten sich zunehmend spezialisieren und in unserem Fach gab es bisher keine Quelle, wo man einen unkomplizierten Einblick bekommt. Zum Beispiel für die Gemeindepfarrerin, die vielleicht seit 10 Jahren nicht mehr an der Uni ist, oder die Lehrerin oder den Diakon, die eine Begriff hören, aber die Debatte darum nicht kennen. Denen wollen wir eine Orientierung bieten – und wir haben auch einfach Spaß daran, Menschen für unser Fach zu begeistern.

Vielen Dank für das Gespräch.


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