Leid – Tränen – mehr Spenden?

Jugendliche sitzt lächelnd im Hospiz
Getty Images/iStockphoto/shironosov
Wer mit einer lebensverkürzenden Krankeit leben muss, erlebt trotzdem viele glückliche Momente.
Eine Frage der Ethik
Leid – Tränen – mehr Spenden?
Hätten Sie auf unser Titelbild als Kampagnenmotiv reagiert und Geld gespendet? Oder wäre ein trauriges Kind ein größerer Anreiz gewesen? Eine heikle Frage, die keine leichten Antworten zulässt. Genau diesen Konflikt zwischen Wahl der Mittel und ihrer Wirksamkeit müssen viele Vereine in ihrer steten Suche nach Spender:innen bewältigen.

"Wie viel Kind darf man in einer Spendenkampagne benutzen?" Mit dieser selbstkritischen und leicht provokanten Frage startete auch Franziska Kopitzsch, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Kinderhospiz e.V., in die hybride Diskussionsrunde, über Ethik, Moral und Erfolg einer Spendenkampagne. Geladen waren Prof. Dr. Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, betroffene Familien und Mitgliedseinrichtungen des BVKH zum offenen Dialog.

Auslöser der Konferenz war unter anderem die jüngste Spendenkampagne des Verbandes, die als Kunstprojekt von Lebensverkürzung betroffene Kinder in den Fokus stellt. "Facing the Taboe" fokussiert sich auf Tod und Leben. Und darauf, wie nah beides in der Kinderhospizarbeit zusammenfällt. Jeden Tag sterben in Deutschland, laut Angabe des Bundesverbandes Kinderhospiz, rund 14 Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene an lebensverkürzenden Krankheiten. Die Kampagne porträtiert und verewigt einige der unheilbar kranken Kinder und Jugendlichen, die vom Bundesverband unterstützt werden. In kurzen Clips agieren Prominente wie Dieter Hallervorden gemeinsam mit ihnen und rufen zu Spenden auf. Die Aktion war erfolgreich.

Stephan Gsell, Geschäftsführer der verantwortlichen Kreativagentur "Mensch", hatte keine Bedenken authentische Protagonisten in diesem Projekt zu zeigen. "Wir haben die Botschaft über die Kunst zu den Menschen gebracht." Humor, Provokation und Emotionen seien legitime Mittel, sagte er.

Die Wanderausstellung "Facing the Taboo" war in mehreren deutschen Städten zu sehen, wie hier im Berliner Schloßpark.

An der Kampagne als Betroffener beteiligt, reagierte auch Rasul Mamadov gelassen auf diese Frage. "Es ist okay, Kinder für solche Kampagnen zu benutzen, aber es muss Regeln dafür geben", sagte er. Für ihn sei das oberste Gebot Transparenz und die Frage, was passiert mit dem eingeworbenen Geld? Kommt es unmittelbar der Arbeit vor Ort zu Gute, dann sei das in Ordnung. Würde damit allerdings nur das Marketing refinanziert, wäre das schwierig. Auch die nachträgliche Bearbeitung von Bildmaterial sei mit den Betroffenen abzusprechen, ergänzte er. Die Agentur hat ehrenamtlich an der Kampagne "Facing The Taboo" gearbeitet. Somit war diese kostenfrei, konnte Franziska Kopitzsch in diesem Fall versichern.

Die Teilnehmenden der hybriden Konferenz, die im Studio vor Ort saßen: v.l.n.r.: Moderatorin Lydia Mikiforow, Moderatorin bei RBB 88.8, Franziska Kopitzsch, Geschäftsführerin Bundesverband Kinderhospiz, Stephan Gsell, Geschäftsführer Mensch Kreativagentur – Initiator von FACING THE TABOO; Rasul, ein Gesicht von FACING THE TABOO und Starterkind des Kinder-Lebens-Laufes 2022.

Begriffe können unterschiedlich verletzen

Laura-Jane Dankesreiter, als Behinderte und Koordinatorin der Grünen Bande mit in der Diskussion, sieht auch Risiken in dieser Art des Spendenerwerbs. "Je nachdem, was Betroffene selbst erlebt haben, treffen sie Wörter oder Begriffe ganz anders", sagte sie. Für sie sei der Begriff "Behinderte" der neutralste, aber das sei ihre persönliche Perspektive.

Die Grüne Bande, der Jugendklub des Bundesverband Kinderhospiz e. V. ist offen für alle zwischen 14 und 27 Jahren, die chronisch oder lebensverkürzend erkrankt sind, deren Geschwister und engste Bezugspersonen sowie für Kinder von lebensverkürzend erkrankten Eltern. Der Klub hat sogenannte "No-Goes" definiert. Ein leidendes Kind im Krankenhaus, die Arme voller Schläuche und offene Wunden, sei beispielsweise viel zu dramatisch. "Man soll keine Fakten dazu erfinden, unsere Lebensgeschichte ist dramatisch genug", postuliert Dankesreiter, schließlich sei die verkürzte Zeitspanne bis zum Tod, die eigene Realität.

Reflexion und Sensibilität als ethische Leitlinien

Doch welche Regeln sollte man anlegen? Für Christian Schicha stehen Reflexion und Sensibilität ganz oben auf der Liste. "Dinge müssen ausgelotet werden und sollten kein Mitleid sondern Empathie zum Ziel haben", sagt er. Transparenz und Freiwilligkeit der Akteure sei unabdingbar. "Wenn ich die hungernden Kinder in mancher Afrikakampagne sehe, dann frage ich mich: Wollten die das? Oder wurden sie instrumentalisiert?" Jeder Medienmacher sollte Wahrhaftigkeit und Wahrheit als Maßstab an seine Arbeit anlegen, sagte der Ethik-Experte.

Thomas Koch, CEO von tkmStarcom, Partner bei Plural Media Services und Autor des Buchs "Die Zielgruppe sind auch nur Menschen" kennt den schmalen Grad, auf dem Werbende laufen müssen: "Wir müssen schon die positive Manipulation nutzen, schließlich stehen wir im Wettbewerb der Aufmerksamkeit." Für ihn schließe das aber die Steigerung mit immer schlimmeren Bildern und dramatischeren Wortkonstruktionen aus. Wichtiger sei es, dass die Botschaft zu den jeweiligen Menschen passt. Es gälte, den richtigen Augenblick für die jeweilige Kampagne zu treffen.

Kindchenschema zieht immer

Wir alle lieben Kinder und gerade sie erwecken in uns das Mitempfinden. Doch dürfen Spendensammler dieses Gefühl bewusst ausnutzen? Laura-Jane Dankesreiter kennt die Schwierigkeiten: "In der Hospizarbeit hat jeder direkt das kleine Kind, vielleicht acht Jahre alt und krebskrank, vor Augen. Diese Stereotype zu durchbrechen, ist schwer. Dabei können heute viele mit ihren Krankheiten älter werden und dann denken Menschen, 'Hey deren Leben ist doch länger' und dann fehlt die nötige Dramatik." Dieses Gefühl konnte eine Diskussionsteilnehmerin direkt bestätigen. "Wir wollten für meinen 18-jährigen Sohn Spenden werben, aber ich hörte dann, er sei zu alt für viele Likes in den sozialen Medien".

Wir als Journalist:innen sind von diesen Stereotypen und unserer fertigen Geschichte vorab im Kopf ebenfalls betroffen. Franziska Kopitzsch berichtet davon, das Medien-Anfragen zu diesem Thema sich häufig auf Kinder eingrenzen. "Wir müssen flexibel sein und immer im Kopf halten, was kommt für die Menschen, die wir unterstützen wollen, dabei raus?" Dennoch versucht sie jedes Mal den Blick auch auf die jungen Erwachsenen zu lenken. 

Das viel dabei rauskommen sollte, darin waren sich alle Beteiligten an diesem Abend einig. Letztendlich entscheiden aber auch wir als Spender:innen, welche Aktion wir unterstützen und können so indirekten Einfluss auf die Art von Kampagnen ausüben. Der Bundesverband Kinderhospiz e.V. gilt als wichtigster Kompetenzträger für die Beratung und Betreuung von betroffenen Kindern sowie ihren Familien. Er vertritt die Interessen für stationäre Kinderhospize und ambulante Dienste. Im Rahmen des Qualitätsmanagements entwickelt der Dachverband Kriterien und Merkmale. Der Verband will die öffentliche Wahrnehmung der Kinderhospizarbeit stärken.