TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Der doppelte Lothar"

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11. Januar, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Der doppelte Lothar"
Bigamisten treiben ein doppeltes Spiel, das auf Lug und Trug basiert; so erklärt sich ihr schlechtes Image. Segnen sie das Zeitliche, ist der Schmerz umso tiefer, denn zur Trauer über den Verlust gesellt sich zudem der Zorn über die jahrelangen Lügen. Wer es gut mit dem Bigamisten meint, wird darauf verweisen, dass er offenbar über besonders viel Liebe verfügte; genug jedenfalls für zwei Familien. All’ das schwingt in der Geschichte vom "Doppelten Lothar" mit.

In diesem Film, der wie schon der letztwöchige Auftakt zur diesjährigen "Nord bei Nordwest"-Trilogie nach einem Drehbuch von Reihenschöpfer Holger Karsten Schmidt entstanden ist, fliegt das Doppelspiel auf, als die Titelfigur tot aus dem Meer gefischt wird. Lothar Müller aus Schwanitz, der neuen Heimat des einst dort untergetauchten Hamburger Hauptkommissars Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann), ist jedoch nicht ertrunken, sondern ermordet worden.

Zur gleichen Zeit wird ein Mann namens Lothar Meier aus Travemünde vermisst, und angesichts des Titels ist es keine große Überraschung, dass Müller und Meier ein und derselbe sind; sein Beruf als Handelsreisender lieferte ihm die perfekte Erklärung für seine jeweils mehrtägigen Abwesenheiten. 

Natürlich fragen sich Jacobs und Hannah Wagner (Jana Klinge), ob Lothar die Doppelexistenz zum Verhängnis geworden ist, weil ihm eine der beiden betrogenen Ehefrauen (Johanna Christine Gehlen, Marie Hacke) auf die Schliche gekommen ist. Bei der Obduktion wird in seinem Blut allerdings ein Nervengift entdeckt; so gehen Gattinnen in der Regel eher nicht vor. Tatsächlich stellt sich raus, dass hier ganz andere und ungleich mächtigere Kräfte gewaltet haben, und nun erreicht "Der doppelte Lothar", Episode Nummer 22 der 2014 gestarteten Reihe, jene Ebene, die den Krimis von der Ostsee regelmäßig eine besondere Bedeutung verleiht.

Dass sich in der Bigamie des Mannes, der sich anscheinend nicht zwischen zwei Frauen entscheiden konnte, die Unentschlossenheit von Jacobs spiegelt, der ja ebenfalls zwischen der Kollegin Wagner und Praxispartnerin Jule (Marleen Lohse) hin und her gerissen ist, darf getrost als augenzwinkerndes Einverständnis zwischen Autor und Publikum gewertet werden. 

Da die Gegenspieler in einer anderen Liga agieren als das polizeiliche Duo aus der Provinz, bittet Jacobs einen alten Freund um Hilfe, was den Film um ein berührendes Wiedersehen bereichert: Reimar Vogt (Peter Prager), ehemaliger BND-Agent und Vater von Jacobs’ ermordeter Kollegin Lona, sitzt zwar (wie sein Darsteller) nach zwei Schlaganfällen im Rollstuhl, aber sein Geist ist noch wach. Außerdem kommt er nicht allein: Seine persönliche Assistentin (Amina Merai) zeichnet sich durch eine Brillanz aus, die selbst Jacobs beeindruckt.

Weil Dorffaktotum Ösker (Cem Ali Gültekin) diesmal ein Praktikum als Polizist macht und endlich mehr als nur alte Akten digitalisieren darf, stellen sie sich schließlich zu fünft einem Feind, der es auf streng geheime Militärtechnologie abgesehen hat und auch nicht vor Kindesentführung zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen; Peter Schneider ist ein würdiger Gegenspieler. 

"Der doppelte Lothar" ist die zweite Regiearbeit von Hauptdarsteller Schönemann, und wenn nicht alles täuscht, ist die Zeit reif, um ihm auch ein Projekt außerhalb der Reihe anzuvertrauen. Die Arbeit mit dem Ensemble ist wie bei seinem Debüt "Auf der Flucht" (2023) ähnlich sehenswert wie die Bildgestaltung (Uwe Neumeister), aber ein besonderes Vergnügen bereitet der Film wegen der vielen Details. Die sind zwar nicht alle so verblüffend wie eine "Verfolgungsjagd", die von zwei Autos auf einem Stadtplan ausgetragen wird, verraten jedoch eine große Freude an kleinen Verspieltheiten: Als Lisa Meier ihrem kleinen Sohn zu erklären versucht, dass der Vater von seiner jüngsten Reise nicht mehr heimkehren wird, fliegt im Hintergrund ein Raumschiff über das Weltallbild an der Wand.

Darüber hinaus hat Schönemann dem Krimi einen unaufdringlichen Siebzigerjahre-Look gegeben, was sich unter anderem in Frisuren und Koteletten äußert. Sehr sympathisch ist auch die Idee, die Handlung mehrfach durch flotte Schnittsequenzen voranzutreiben. Herausragend ist nicht zuletzt die abwechslungsreiche Musik von Stefan Hansen; das Spektrum reicht von typischen Küstenmelodien bis zu Hollywood-Klängen à la "Oceans’ Eleven". Die Basis aller guten Filme ist jedoch stets ein gutes Drehbuch; wie Schmidt die doppelte Familientragödie unmerklich in einen Agenten-Thriller mit angemessen spannendem Finale verwandelt, ist hohe Krimikunst.