TV-Tipp: "Tatort: Was bleibt"

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1. Januar, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Was bleibt"
An Neujahr zeigt die ARD gern Sonntagskrimis, die in gewisser Weise aus dem Rahmen fallen. Vor einigen Jahren durfte Jan Georg Schütte (zuletzt "Das Fest der Liebe") sein Grimme-preisgekröntes Improvisationsprinzip auf den "Tatort" zu übertragen ("Das Team", 2020); das Ergebnis des Experiments war jedoch eher durchwachsen.

2021 erkundete das Duo aus Weimar in dem ausnahmsweise gar nicht komischen Krimi "Der feine Geist" buchstäblich die Unterwelt; es war der Abschlussfall für Christian Ulmen und Nora Tschirner. Die Episoden der beiden letzten Jahre erzählten zumindest besondere Geschichten: "Videobeweis" (2022), ein vorzüglich gestalteter und ausgezeichnet gespielter Stuttgarter "Tatort" mit Oliver Wnuk, war eine "MeToo"-Variation, und in "Schutzmaßnahmen" (2023) aus Köln musste Freddy Schenk seiner Tochter gegen den skrupellosen Paten ihres Stadtviertels beistehen. 

Mit "Was bleibt" folgt auch der NDR dieser Tradition. Der Film ist in gewisser Weise gleichfalls ein Experiment, denn das Drehbuch von Marija Erceg lässt fast schon provokant lange offen, worauf die Erzählung hinausläuft. Dank der Umsetzung durch Max Zähle (Regie) und Frank Küpper (Kamera) ist die Handlung dennoch fesselnd, zumal Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) vor einem Rätsel steht: Nach einem gelungenen Einsatz wollen Grosz (Franziska Weisz) und der Rest der Truppe in einer Kneipe das 25jährige Dienstjubiläum des Bundespolizisten feiern. Mitten in einem Song, den die Kollegin und ihre Band für ihn spielen, bekommt Falke einen Anruf. Ein junger Mann (Malik Blumenthal) bittet ihn um ein Treffen, das aber offenbar nur der Abrechnung dient; er wirft dem Beamten vor, der habe ihm damals sein Leben genommen. Keine 24 Stunden später ist er tot. 

Natürlich nimmt der Kommissar die Sache persönlich; er hat allerdings keine Ahnung, wer der Mann war oder wann sich ihre Lebenswege gekreuzt haben. Ein öffentlicher Aufruf führt das Duo schließlich zum Ehepaar Timmig (Leslie Malton, Gerhard Garbers), das vor zwanzig Jahren eine Einrichtung für Flüchtlinge gegründet hat. Das Haus trägt den Namen "Im Land der Ferne"; kurz zuvor hatte es einen Anschlag auf ein vor allem von Kindern mit Migrationshintergrund besuchtes Jugendzentrum gegeben, Falke war dort ehrenamtlich tätig. Das Mordopfer war unmittelbar vor seinem Tod in einem Vorort, hier lebt Oliver Timmig (Hanno Koffler), der Sohn des Hamburger Ehepaars; die beiden hatten eine Auseinandersetzung.

Im Grunde scheint klar, dass es sich bei Timmig junior um den Mörder handelt; womöglich hat er auch den Anschlag begangen. Völlig unklar ist hingegen, aus welchem Grund der ansonsten offenbar völlig unbescholtene Familienvater zum Täter geworden ist; und dann schlägt der Film eine gänzlich unerwartete neue Richtung ein, um schließlich in ein erschütternd tragisches Ende zu münden. 

Autorin Erceg hat unter anderem einige Drehbücher für den ebenfalls vom NDR verantworteten "Usedom-Krimi" geschrieben. Bei den Geschichten handelte es sich in erster Linie um Familiendramen; das ist bei "Was bleibt" nicht anders. Hier hat sie jedoch ihre eigenen Erfahrungen als Kind von "Gastarbeitern" einfließen lassen, das sich in Deutschland ähnlich unwillkommen fühlt wie der junge Mann aus dem Film, der einst mit seinen Eltern aus Bosnien geflohen ist.

Weil Falke und Grosz bei ihren zähen Ermittlungen nur wenig weiterkommen, tritt auch die Handlung zwischenzeitlich scheinbar auf der Stelle. Abgesehen vom intensiven Spiel Möhrings fesselt "Was bleibt" vor allem durch die Inszenierung. Zähle und Küpper haben bereits bei "Limbus" (2020) zusammengearbeitet, einem formidablen "Tatort" aus Münster, in dem Rechtsmediziner Boerne nach einem Anschlag in der Vorhölle landet. 

Kameramann Küpper gehört ohnehin zu den renommiertesten Bildgestaltern hierzulande. Mutig ist unter anderem der vier Minuten lange ungeschnittene Prolog über eine Razzia in einer Kneipe. Eindrücklich sind auch die optischen Verzerrungen von Falkes bruchstückhaften Erinnerungen, die verdeutlichen, wie nahe ihm dieser Fall geht. Über vielen Bildern liegt zudem eine Art Schleier. Gerade die Szenen im Revier sind auch dank eines Stichs ins Dunkelgrüne ziemlich düster, ganz im Gegensatz zu den ausgelassenen Kneipenszenen: Eine weitere Besonderheit des Films sind die mehrfachen Auftritte der Band von Julia Grosz; Franziska Weisz kann sich auch als Sängerin hören lassen. Die Lieder sind im Grunde eine Liebeserklärung an den Kollegen; umso mehr bedauert Grosz, dass Falkes Reaktion auf ihre Bewerbung beim BKA in Wiesbaden recht zurückhaltend ausfällt.