"Gleichstellung ist kein Luxus"

Plakat mit Aufschrift "Womens right are human right"
© epd-bild/Christian Ditsch
Nach der Hälfte der Legislaturperiode stellen Frauenrechtlerinnen ernüchternd fest, dass ein Großteil der Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag nicht umgesetzt wurden. (Symbolbild)
Frauenrechtlerinnen enttäuscht
"Gleichstellung ist kein Luxus"
Gleichstellung zu stärken, ist erklärtes Ziel der Ampel-Koalition. Doch zur Hälfte der Legislatur zeigen sich Frauenrechtlerinnen ernüchtert: Beschlossen sei vor allem, was nicht viel koste.

Einen "gleichstellungspolitisch starken Koalitionsvertrag" bescheinigt Beate von Miquel der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats nennt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) als Beispiel "die Ausarbeitung der Leitlinien für feministische Außenpolitik, die wir sehr begrüßt haben". Auch die Streichung des Paragrafen 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelte, fällt von Miquel ein. Doch mehr Anerkennung gibt es von der promovierten Historikerin und Geschäftsführerin eines Geschlechterforschungszentrums an der Ruhr-Universität Bochum für die Gleichstellungspolitik der Ampel-Koalition nicht.

Ein Großteil der Vereinbarungen sei "nicht umgesetzt", hält von Miquel fest. Die Regierung treibe vor allem Dinge voran, "die niedrigschwellig umzusetzen sind". Dort, wo sie "für den versprochenen gesellschaftlichen Fortschritt" auch Geld in die Hand nehmen müsste, habe sie wenig vorzuweisen, kritisiert die Vorsitzende des Frauenrats, die in der Dachorganisation von rund 60 Mitgliedsorganisationen die "Evangelischen Frauen in Deutschland" (EFiD) vertritt. Sie warnt angesichts der Milliardenlöcher im Haushalt, die sich seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auftun, ausdrücklich: "Gleichstellung ist kein Luxus für gute Zeiten, sie ist Verfassungsauftrag."

Die Liste mit Forderungen des Frauenrats an die Regierung umfasst einige Punkte. Einer davon ist der Schutz vor Gewalt. In diesem Punkt ist sich von Miquel mit der Fernseh-Journalistin Maria von Welser, Gründerin des Frauenjournals "ML - Mona Lisa", einig. Von Welser findet es "ganz finster, was in Deutschland beim Thema Gewalt an Frauen passiert". Im Gespräch mit dem epd sagt die Publizistin, die sich auch für Unicef und Frauenrechte engagiert: "Das sind zu 98 Prozent Männer, die diese Gewalt ausüben." Sie fordert, Frauen "anders und besser" zu schützen. Die Täter müssten "schneller vor Gericht und bestraft werden".

Die Frauenrats-Vorsitzende von Miquel unterstreicht: "Wer gleichstellungspolitischen Fortschritt will, muss ihn auch fortschrittlich finanzieren." Soziale Einschnitte seien die falsche Antwort auf die aktuellen finanziellen Herausforderungen. "Auf knappe Kassen antworten wir: Einnahmen verbessern!" Von Welser wird an dem Punkt konkret: Wenn das Ampel-Bündnis das Ehegattensplitting beenden würde, "könnte die Bundesregierung 22 Milliarden Euro einnehmen", erklärt sie.

Die Ampel versprach auch Parität im Kabinett, also gleiche Repräsentanz von Männern und Frauen am Kabinettstisch. Das ist seit der Ernennung von Boris Pistorius zum Verteidigungsminister passé, der Christine Lambrecht (beide SPD) nachfolgte. Von Miquel kritisiert: "Das gebrochene Wahlversprechen ist aber nur die Spitze des Eisbergs." Im aktuellen Bundestag erreiche der Frauenanteil nicht einmal 35 Prozent. Auch von Welser spricht vom "schlechtesten Frauenanteil in der Geschichte der Bundesrepublik" und findet diesen Zustand "haarsträubend". Eine Wahlrechtsreform, die Parität im Parlament verbindlich fordert, könnte hier Abhilfe leisten, doch die in diesem Jahr erfolgte Reform sehe genau das nicht vor.

Die Frauenrats-Vorsitzende weist auf die Konsequenzen des niedrigen Frauenanteils im Bundestag und der fehlenden Parität im Kabinett hin: "Wir wissen, politische Entscheidungen, die ohne Frauen getroffen werden, verfehlen häufig die Lebensrealitäten von Frauen, weil ihre Perspektiven fehlen." Eine Erkenntnis, die auch die Diplom-Sozialwissenschaftlerin und Genderforscherin Jana Günther von der Evangelischen Hochschule Darmstadt bestätigt. "Für Frauen ist der Marsch durch die machtvollen Institutionen schwerer", erläutert sie. "Die gläserne Decke existiert weiterhin, allerdings gibt es für Frauen mehr Einstiegsluken als früher."