Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft im Roman

Verschlossene Tür in Bücherwand
© Eugenio Mazzone / Unsplash
Eliport stellt vier Romane vor, die von Protagonist:innen erzählen, die soziale Ungerechtigkeit erfahren.
Buchtipps zu Klassismus
Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft im Roman
Klassismus bezeichnet Vorurteile und Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und der Zugehörigkeit zu einer vermeintlich "niedrigeren" sozialen Klasse. Das Evangelische Literaturportal stellt heute vier Romane vor, die von Protagonist:innen erzählen, die aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit erfahren.

Bärfuss, Lukas: Die Krume Brot. Roman. 

Sommer 1973 - Adelina lebt in der Schweiz und ist trotzdem bitter arm. Wie es dazu kam, erzählt dieser Roman.

"Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt." Adelinas Eltern sind aus Italien in die Schweiz immigriert. In der Schule lernt das Mädchen weder lesen noch schreiben. Niemand fördert sie. Und so arbeitet sie schließlich als Näherin, in Fabriken, später in einer Bar, um sich und ihre nichteheliche Tochter Emma irgendwie durchzubringen. Ihr Vater hinterlässt ihr 9000 Franken Schulden. Eine hohe Zahnarztrechnung bringt sie immer mehr in Not. Adelina muss bei Kredithaien Geld aufnehmen und kann den Vertrag nicht lesen, sie arbeitet nur noch für die Zinsen.

Eines Abends taucht ein Mann in der Bar auf und bietet seine Hilfe an. Lukas Bärfuss hat einen politischen Roman geschrieben, der unter die Haut geht. Migration, schlechte Bildung, alleinerziehend ohne jede Unterstützung, an der Armutsgrenze lebend trotz größtmöglicher Arbeitsleistung, bleibt am Ende nur die Prostitution? Der erste sehr lesenswerte Band einer Trilogie. 
Gesine Meerheimb 

Hamburg: Rowohlt 2023. 222 S. 
ISBN 978-3-498-00320-3, geb.: 22,00 €

Louis, Édouard: Anleitung ein anderer zu werden. Roman. 

Was kostet der Weg in ein neues Leben?

Nachdem er über seine Kindheit, die Beziehung zu seinem Vater und die zu seiner Mutter geschrieben hat, widmet Édouard Louis sich jetzt einer schonungslos ehrlichen Schilderung seines Weges in die Kreise der Pariser Reichen und Intellektuellen. Er beschreibt z. B. seinen Bildungsdurst, der in den ersten Jahren tatsächlich lebensnotwendig schien: Bildung nicht aus ehrlichem Interesse, sondern als Mittel, um raus aus dem Milieu seiner Familie zu kommen. Bildung, um die richtigen Leute kennenzulernen und zu beeindrucken, die ihm dann auf seinem weiteren Weg wichtige Helfer- und Türöffner:innen sein konnten. Er schildert, wie er in seinem Drang ein anderer zu werden, wichtige Lebensbegleiter:innen verletzt zurückgelassen hat, versucht aber dabei immer eine Erklärung dafür anzubieten, fast, wie eine nachträgliche Entschuldigung. Das ist interessant, weil er dadurch nicht nur der arme Junge bleibt, dessen Willensstärke man bewundert, sondern auch unsympathischere, karrieristische Züge zeigt, die seine Mitmenschen, denen mehr in die Wiege gelegt wurde als ihm, sicher nicht immer nachvollziehen konnten. Wir aber wissen: Für Kinder aus bildungsfernen Familien ist es ein harter, steiniger Weg nach oben.
Eine radikale und kraftvolle Lektüre für alle, die sich für Klassenfragen interessieren. Wiebke Mandalka 

Berlin: Aufbau 2022. 271 S. 
ISBN 978-3-351-03956-1, geb.: 24,00 €

 

Stuart, Douglas: Shuggie Bain. Roman. 

Als bestes Debüt des Jahres: ein gefeiertes Buch über einen Jungen und seine alkoholkranke Mutter im Glasgow der Thatcher-Jahre. 

Der achtjährige Shuggie lebt mit seiner Mutter Agnes, den beiden älteren Geschwistern aus Agnes erster Ehe und seinem Vater Shug in beengten Verhältnissen bei den Großeltern in einer Glasgower Hochhaussiedlung. Gewalt, Armut und die Alkoholsucht der Mutter beherrschen das Leben. Der Vater lässt Frau und Kinder schließlich in einer Minenarbeitersiedlung vor den Toren der Stadt sitzen, und Agnes Zustand verschlimmert sich immer mehr. Eine Episode ist schrecklicher als die andere, doch der Roman entwickelt einen Sog, dem man sich als Lesende:r nicht entziehen kann. Shuggie sticht in diesem Milieu heraus: Er geht anders, spricht anders, kleidet sich anders als die anderen Kinder und wird zum Opfer von Mobbing und Missbrauch. In all dem ist Shuggies Liebe zu seiner Mutter, ihrer Schönheit und Würde, die sie nach außen stets zu wahren sucht, bedingungslos. Obwohl die Handlung nicht leicht zu verarbeiten ist, ist der Roman sehr, sehr gut lesbar, spannend erzählt und endet für Shuggie doch auch auf einer hoffnungsvollen Note.
Der autobiographisch eingefärbte Roman ist eine seltene Perle aus der Arbeiterschicht und eine absolute Leseempfehlung. Sabine Klohn 

München: Hanser Berlin 2021. 491 S. 
ISBN 978-3-446-27108-1, geb.: 26,00 €

 

Lee, Min Jin: Gratisessen für Millionäre. Roman. 

Tradition und Stolz trifft auf Glamour und Oberschicht.

Casey Han ist die unangepasste Tochter koreanischer Einwanderer der ersten Generation. Diese haben sich durch harte Arbeit und Verzicht auf alles zugunsten der alten Traditionen beweisen können. Unglaublich stolz sind sie auf Casey, die an einer Eliteuniversität erfolgreich ihren Abschluss gemacht hat. Alle Wege stehen ihr offen, zum Missfallen und Unverständnis ihrer Eltern ergreift sie aber keine der Möglichkeiten. Sie sucht, wie viele junge Menschen, die Freiheit und sich selbst. Unterbezahlt jobbt sie an verschiedenen Stellen, ihre Kreditkarte ist ständig überzogen und sie kann sich für nichts entscheiden. Da sie die Ansprüche ihrer Eltern nicht erfüllen kann, wird sie aus ihrem Elternhaus verwiesen und muss nun ihren eigenen Weg im New York der 90erJahre finden. Wir begleiten die junge Frau auf ihrem Weg sich professionell als auch sexuell zu emanzipieren und ihren Weg in einer durchaus rassistischen und sexistischen Arbeitswelt zu finden. Gabriele Rojek 

München: Dt. Taschenbuch Verl. 2023. 844 S. .
ISBN 978-3-423-28331-1, geb.: 28,00 €

evangelisch.de dankt dem Evangelischen Literaturportal Eliport für die inhaltliche Kooperation.