"Gesellschaft wie Sauerteig durchsäuern"

Winfried Kretschmann
© epd-bild/Andreas Langen
Der Sinn des Christentums sei es, die Gesellschaft wie Sauerteig zu durchsäuern. Dafür sei es unerheblich, wie viele Bürger zur Kirche gehörten, sagte der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, auf einer Veranstaltung von evangelischen Landeskirchen und Diözesen.
Kretschmann zum Christentum
"Gesellschaft wie Sauerteig durchsäuern"
Ohne die Kirchen wäre das gesellschaftliche Klima in Deutschland nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann kälter. Für ihn persönlich sei es ganz normal, sich auch öffentlich zu seinem christlichen Glauben zu bekennen, sagteder Katholik am Donnerstag in Stuttgart bei einer Veranstaltung der beiden evangelischen Landeskirchen und katholischen Diözesen im Südwesten.

Mit Blick auf die zurückgehenden Kirchenmitgliederzahlen mahnte der Politiker zur Gelassenheit: "Wir müssen uns klarmachen, dass es vielleicht ganz normal ist, was jetzt stattfindet." Sei es früher die Norm gewesen, zur Kirche zu gehören, entscheide das heute jeder für sich. Schwindende Mitgliederzahlen schmälerten die Bedeutung der Kirchen aber nicht. Der Sinn des Christentums sei es, die Gesellschaft wie Sauerteig zu durchsäuern. Dafür sei es unerheblich, wie viele Bürger zur Kirche gehörten, so Kretschmann.

Kretschmann würdigte den Beitrag des konfessionellen Religionsunterrichts zur Persönlichkeits- und Glaubensbildung. Es sei ein Unterschied, ob ein Lehrer über eine Religion spreche, deren Inhalte er glaube, oder nicht. Die größte Gefahr für einen guten Religionsunterricht ist laut Kretschmann die Selbstsäkularisierung. "Reli" sei mehr als "ein allgemeines Ratgeberfach, wie man glücklich wird".

Die Bischöfin der Evangelischen Landeskirche in Baden, Heike Springhart, bekannte, dass sie ohne den Religionsunterricht nicht zur Kirche gefunden hätte. Sie sei zwar als Säugling getauft worden, aber "nicht besonders kirchennah" aufgewachsen. Springhart warb dafür, den konfessionellen Religionsunterricht beizubehalten. Wer in seinem eigenen Glauben reflektiert und mündig unterwegs sei, gehe auch mit Andersgläubigen souveräner um. Nach Angaben der Kirchen besuchten im vergangenen Schuljahr 60 Prozent der Schüler im Südwesten den konfessionellen Religionsunterricht.

In gesamtgesellschaftlichen Debatten wie zum Umgang mit Flüchtlingen, der AfD oder dem Klimaschutz sollten die Kirchen nach Ansicht der Landesbischöfin "nicht in die populistische Falle tappen, indem wir zu viel polarisieren". Als Volkskirche dürfe man nicht sagen: "Wir sind die Guten und die anderen haben problematische Ansichten". Mit Blick auf den Klimaschutz sagte Springhart: "Wir haben die Verantwortung, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Aber am Ende errettet und erlöst diese Welt ein anderer und nicht wir."

Der Journalist und Künstler Michel Abdollahi bescheinigte den Kirchen eine entscheidende Integrationsfunktion. Ihr Wertekanon führe zu einer gesamtgesellschaftlichen Stabilität, sagte der aus dem Iran stammende und in Hamburg lebende Moslem: "Wenn ich an Kirche denke, denke ich an Nächstenliebe." Wenn es die Kirchen nicht gäbe, wäre das "verheerend", so Abdollahi. An den kirchlichen Religionsunterricht, den er als Kind selbstverständlich besucht habe, habe er ausschließlich gute Erinnerungen.