Die Begegnung mit dem Anderen

dunkelhäutige Frauen beim Gebet
© Pavel Danilyuk/Pexels
Wie ist eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen verschiedenen Nationen möglich?
mission.de blickt nach Südafrika
Die Begegnung mit dem Anderen
Was macht eigentlich die Anderen aus? Und welche Faktoren führen dazu, sich den Anderen anzunähern? Marcus Grohmann fragt mit Blick nach Südafrika, was es für eine Annäherung braucht und blickt auch darauf, was für eine Begegnung auf Augenhöhe notwendig ist.

Was macht eigentlich die Anderen aus? Und welche Faktoren führen dazu, sich den Anderen anzunähern? Eines von vielen Beispielen sind die verschiedenen Sprachen, die gesprochen werden. Ein anderes ist, zumindest in Südafrika, auch heute, etwa 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid, die Frage nach der jeweiligen kulturellen Herkunft. Marcus Grohmann fragt in seinem Text danach, was es für eine Annäherung braucht und blickt auch darauf, was für eine Begegnung auf Augenhöhe notwendig ist.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, als ich – zehn Jahre ist es etwa her – die Kirche einer reformierten Gemeinde im ländlichen Namibia betrete. Zum Gottesdienst erscheinen ausschließlich weiße Gläubige – obwohl die Mehrheit der Menschen im Dorfumfeld Schwarz ist. Es war mein "Antrittsbesuch" bei meinen zukünftigen Schwiegereltern auf einer Wildfarm in der Kalahari. Auf mein Nachfragen erklärte meine Verlobte mir, dass sich einige Jahre zuvor jemand "getraut" hatte eine Gruppe Schwarzer Kinder zum Gottesdienst mitzubringen. Das war auf die Missbilligung anderer Gemeindeglieder gestoßen, die alle (weiße) sogenannte "Afrikaners" (Selbstbezeichnung , früher: "Buren") waren.

Wie kann Versöhnung Wirklichkeit werden?

Im Zuge unserer deutsch-namibischen Eheschließung zeigte sich jedoch, dass sich solche Apartheids-Strukturen nicht nur an dieser Stelle fortsetzten oder in den weiterhin oft streng hierarchisch geprägten interkulturellen Beziehungen im Arbeitskontext. Auch mich als (weißen) Deutschen als Familienmitglied aufzunehmen, war keine von vornherein ausgemachte Sache. Die Trennung nicht nur von Hautfarben, sondern von jeglichen – als voneinander abgrenzbar angesehenen – kulturellen Gruppen, war der Kern der Apartheids-Ideologie gewesen.

Umso mehr überraschte mich der Kommentar meines Schwiegervaters wenige Jahre später. Er bestätigte, was sich für mich in meiner Forschungsarbeit zu Versöhnungsprozessen in zunehmend multikulturellen Kirchengemeinden immer mehr als ein Grundproblem interkultureller Beziehungen im benachbarten Südafrika darstellte, wo wir inzwischen wohnten: "Die wohlmeinenden weißen Leute, die als Missionare den Menschen in den Armensiedlungen dienen wollen, können nicht einfach 'einfliegen', Reis und Bibeln verteilen, ein Schulgebäude hinstellen und dann wieder gehen. Wenn sie wirklich etwas bewegen wollen, müssen sie das Leben der Menschen teilen."

Almosen schaffen keine Augenhöhe

Ich war baff. Offenbar war mein Kopf noch nicht bereit gewesen die Komplexität wahrzunehmen, welche die Haltungen von während der Apartheid sozialisierter Menschen ausmachen kann. Unabhängig vom konkreten Dorfkontext in Namibia, hatte mein Schwiegervater den Nagel auf den Kopf getroffen: Weder das Almosen-Geben noch das – oben noch verweigerte – Willkommen-Heißen der als fremd Empfundenen führt zu versöhnter Gemeinschaft auf Augenhöhe.

Natürlich, es braucht offene Türen im eigenen Haus. Wenn ich jedoch immer (Gast-)Geber bleibe, bleibt Transformation stecken, bleibt "Versöhnung" einseitig. Was auch – und im postkolonialen Kontext vielleicht noch mehr – Not tut, ist die Bereitschaft, die Demut, das Vertrauen auf Gott und Menschen, um selbst Gast zu werden und Leben mit "den anderen" zu teilen, zu ihren jeweiligen Bedingungen.

Schwarze Leute in weißen Gottesdiensten wären schon eine kleine Revolution gewesen in diesem Dorf. Weiße Leute in Gottesdiensten von People of Colour, aus ehrlichem Interesse am Anderen, im Wissen, dort nicht die Kontrolle zu haben, nicht kompetent zu sein, auf die Hilfe und Barmherzigkeit der Gastgebenden angewiesen zu sein, ohne der Versuchung zu erliegen, die eigene Verlegenheit mit einer Spende zu kompensieren (d. h. sich die Gastfreundschaft zu erkaufen) – hätte das nicht einen Anklang vom Reich Gottes gehabt, welches die irdischen Verhältnisse auf den Kopf stellt? Mir kommt dazu Zachäus in den Sinn, über den Jesus nach seiner ganzheitlichen Bekehrung gesagt hat, dass seinem Haus heute "Heil widerfahren" sei (Lk 19,9). Da wurde Gemeinschaft mit Gott und Menschen wieder hergestellt.

Der Vielfalt werden oft Grenzen gesetzt

In meiner kürzlich abgeschlossenen Doktorarbeit setzte ich mich mit der Rolle weißer südafrikanischer Menschen in Versöhnungsprozessen nach der Apartheid auseinander. Der Großteil der Forschung fand in einer multi-ethnischen Gemeinde in Kapstadt statt. Es wurde deutlich, dass das Ziel von Ebenbürtigkeit und kultureller Vielfalt in der Praxis oft einen Zielkonflikt darstellt.

Vielfalt konnte zwar gelebt werden – aber nur innerhalb von Grenzen, die u.a. durch die englische Sprache und durch eine für die westliche Welt kontextualisierte Theologie definiert wurden. Afrikanische Perspektiven hatten somit weniger Autorität, wenn sie überhaupt vorkamen bzw. bemerkbar waren. Und auch Englisch als verbindendes Element stellt zugleich ein Hindernis zu einem tieferen gegenseitigen Verständnis dar, da es kulturelle Unterschiede oft unsichtbar macht.

Lässt sich diese Spannung in einer vielsprachigen Gesellschaft wie Südafrika – oder auch in einem westlichen Einwanderungsland – überhaupt auflösen? Es ist nicht leicht, doch möchte ich zu zwei Gedanken anregen. Sie können uns weiter in Richtung eines versöhnten Miteinanders tragen, bei dem sowohl Ebenbürtigkeit als auch kulturelle Vielfalt erfahrbar werden.

Skepsis auch mir selbst gegenüber

Der erste Punkt betrifft meine Haltung denen gegenüber, die ich als anders erlebe. Für ein tiefes gegenseitiges Kennenlernen braucht es ein gesundes Spannungsverhältnis von erlebter Gemeinschaft und fortwährender Skepsis. Dies ist keine Skepsis, die dem Anderen Misstrauen entgegenbringt, im Gegenteil. Es ist eine Skepsis mir selbst und meinem vermeintlichen Verständnis des Anderen gegenüber.

Im interkulturellen Bereich, in dem wir über Sprachgrenzen hinweg kommunizieren, sollten wir (noch mehr als sonst) nicht voreilig annehmen, dass wir uns verstehen, nur weil wir dieselben Begriffe verwenden. Wir alle neigen dazu Worte, Gesten und Verhaltensweisen mit Bedeutungen aus unseren Herkunftskulturen und -sprachen zu füllen. Hier permanent im Fragen zu bleiben, tiefer zu graben und mehr zu lernen kann zu einem großen Reichtum in der interkulturellen Verständigung führen – und unangemessener Verurteilung vorbeugen.

Zweitens braucht es mehr Menschen, die (siehe oben) andere in ihrem Kontext erleben und tief kennen lernen: dauerhaft eine Migrationsgemeinde besuchen, anstatt Leute "nur" in die eigene kulturelle Blase einzuladen; sich um der Menschen willen, denen man dienen möchte, ernsthaft dem Erlernen ihrer Sprache zu widmen; erkunden, welche Ressourcen Menschen in ihrem Umfeld schon haben und sie dabei theologisch und praktisch unterstützen, diese zu gebrauchen. Das alles kann helfen, Ebenbürtigkeit zu erleben, zu den Bedingungen "der anderen" – und unterläuft zugleich das Problem der kulturellen Dominanz.

Bei den Menschen sein, ihnen auf (ihrer) Augenhöhe begegnen – dafür haben wir ein Vorbild in Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Es kann für viele Kontexte, ob zuhause oder international, hilfreich sein, klarer zu durchdenken, wie diese bewusst "verletzliche" Art der Begegnung mit dem anderen vom bloßen Wunsch tatsächlich zur Lebenspraxis werden kann.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.