TV-Tipp: "Die smarten Verführer"

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14. August, ZDFinfo, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die smarten Verführer"
Wirtschaftskriminalität ist fast immer spannend, aber ein denkbar undankbarer Stoff fürs Fernsehen: Die Delikte tragen sich zwar hinter glitzernden Fassaden zu, doch die Türen zu den Hinterzimmern bleiben selbstverständlich verschlossen.

Deshalb bestehen Dokumentationen selbst über die schlagzeilenträchtigsten Verbrechen zwangsläufig aus Menschen, die die Rahmenbedingungen analysieren oder schildern, was sich ereignet hat. Auch das kann selbstredend fesselnd sein, ist jedoch auf Dauer ermüdend; im Grunde sind solche Themen in Zeitungen oder Nachrichtenmagazinen besser aufgehoben. Volker Wasmuth zeigt mit seinem Zweiteiler "Die smarten Verführer", wie sich dem Sujet dennoch eine interessante Optik abtrotzen lässt. Schon der Auftakt mit dem in die nächtliche Topografie integrierten Schriftzug "Silicon Valley" ist eindrucksvoll. Im weiteren Verlauf wird Wasmuth die Aufnahmen immer wieder verfremden, um für abwechslungsreiche Bilder zu sorgen. 

Für die inhaltliche Faszination sorgen die milliardenschweren Betrügereien der sechs Menschen, die der Autor porträtiert. Hochstapelei scheint allerdings zumindest in den ganz großen Dimensionen Männersache zu sein. Der erste Teil beginnt mit dem einzigen weiblichen Mitglied des illustren Sextetts. Die Amerikanerin Elizabeth Holmes galt als erste "Selfmade"-Milliardärin der Welt: Sie hatte angeblich ein Gerät entwickelt, mit dessen Hilfe sich anhand bloß eines einzigen Blutstropfens Hunderte von Erkrankungen erkennen ließen. 2015 flog der Betrug auf: In der vermeintlichen Wunderbox verbarg sich ein handelüblicher Apparat von Siemens. Im Jahr zuvor wurde das Unternehmen der New Yorkerin, Theranos, noch auf einen Wert von zehn Milliarden Dollar taxiert. 

Mehr als einmal betont der Film die Attraktivität dieser Frau, die schon als Kind Milliardärin werden wollte. Auch darin liegt der Schlüssel zum Erfolgsgeheimnis: Frauen und Männer wie Holmes, der Windparkbetrüger Hendrik Holt oder das Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek überzeugen nicht durch Powerpoint-Präsentationen, sie blenden mit Charisma. Den Rest besorgen Firmenvideos, aus denen Wasmuth fleißig zitiert. Die Ausschnitte versprechen eine bessere Welt und sind derart gut gemacht, dass sehr viele Leute offenkundig nicht gezögert haben, enorme Summen in die jeweiligen Seifenblasen zu investieren. Dieser Aspekt trägt ebenfalls dazu bei, dass die beiden Filme funktionieren: Auf "smarte Verführer" fallen die Menschen auch im Alltag oft herein, und das keineswegs nur im Zusammenhang mit Aktien.

Als Ersatz für die Blicke hinter die Kulissen dienen die Aussagen von Journalisten, die über die Betrügereien berichtet haben, wobei die Rolle der Presse gerade im Fall Wirecard viel zu kurz kommt; die Medien hatten schon früh auf Ungereimtheiten hingewiesen. Zu den vielen bizarren Fußnoten der Firmengeschichte gehört unter anderem die Tatsache, dass zunächst nicht die Drahtzieher, sondern die Hinweisgeber juristisch verfolgt wurden. Gerade angesichts der ausführlichen aktuellen Berichterstattung über den Prozess gegen den Vorstandsvorsitzenden Markus Braun ist dieses Kapitel, mit dem der zweite Teil endet, ohnehin etwas unbefriedigend und oberflächlich, zumal sich der Film intensiver mit der Flucht Marsaleks als mit der Betrugsmasche befasst. 

Mitunter fällt Wasmuth auch selbst auf die Welt rein, die er doch eigentlich anprangern will. Kronzeuge im Fall Holmes ist ein Mann, der sich mit der etwas hochtrabenden Bezeichnung "Facility Manager" schmücken darf; tatsächlich ist er offensichtlich bloß eine Art Hausmeister. Dass er dennoch psychologische Interpretationen über den Auftritt seiner Ex-Chefin vor Gericht zum Besten geben darf, grenzt an Anmaßung. Außerdem hat der Autor für diese Belange mit Menschen gesprochen, die tatsächlich vom Fach sind: Zu den interessantesten Ausführungen zählen die Analysen von Professor Uwe Kanning (Universität Osnabrück), Spezialgebiet Wirtschaftspsychologie, sowie der britischen Kriminalpsychologin und erfahrenen Gutachterin Kerry Daynes. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Lieferkettenfinanzierung der Bremer Greensill Bank, deren scheinbar krisensicheres Geschäftsmodell vor einigen Jahren ebenso wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen ist wie FTX, eine Handelsplattform für Krypto-Währung. Ähnlich todsicher schien die Idee von "WeWork", ein 14 Milliarden schweres Unternehmen, das auf der ganzen Welt Büroräume tage- oder stundenweise vermieten wollte; die eigentlich gute Idee scheiterte schließlich an der Hybris des Mannes an der Spitze. ZDFinfo zeigt beide Teile am Stück.