Allein im Reich der "Riesen"

 etra Krammel auf Hocker in der Küche
© epd-bild/Pat Christ
Wegen ihrer Kleinwüchsigkeit stößt Petra Krammel auf viele Barrieren. Auf liebenswürdige Art macht sie immer wieder darauf aufmerksam, dass man doch auch für kleine Menschen mitdenkt.
Kleinwüchsige stößt auf Barrieren
Allein im Reich der "Riesen"
Unterwegs Händewaschen, die Nudeln im obersten Regal beim Einkauf, der Bürojob mit Aktenschränken: Unsere Lebenswelt ist fast überall auf "normal große" Erwachsene eingestellt. Für kleinwüchsige Menschen ist das ein Problem, sagt Petra Krammel.

Ist Petra Krammel unterwegs, hat sie immer ein Desinfektionsmittel in der Tasche. Nicht erst seit Corona. Und nicht wegen Corona. "Ich muss immer damit rechnen, dass ich mir auf einer öffentlichen Toilette nicht die Hände waschen kann", sagt die 57-Jährige aus dem unterfränkischen Volkach. Das liegt an ihrer Größe. Petra Krammel ist kleinwüchsig, sie ist 1,22 Meter groß. Nun ist die Welt allerdings auf große Menschen ausgelegt. Die Armaturen vieler Waschbecken sind für sie unerreichbar.

Auf liebenswürdige Art macht Krammel immer wieder darauf aufmerksam, dass man bitte auch für kleine Menschen mitdenkt. Dabei geht es ihr nicht nur um die rund 100.000 Männer und Frauen, die in Deutschland als Kleinwüchsige leben. Jeder Erwachsene war schließlich einmal klein. Wäre die Welt nicht nur für "Riesen" gestaltet, wäre sie kinderfreundlicher. Erst neulich beobachtete Petra Krammel wieder, wie eine Mutter auf einer öffentlichen Toilette ihr Kind hochhievte, damit es sich die Hände waschen konnte.

Dass kleinwüchsige Menschen nicht mitgedacht werden, liegt laut Krammel mit daran, dass man sie kaum sieht. Das sei früher noch extremer gewesen: "Als ich geboren wurde, hat man Kleinwüchsige oft versteckt." Ihrer Mutter ist sie dankbar, dass sie sich anders verhalten hat: "Sie hat mich überallhin mitgenommen." Und sie habe immer versucht, das Selbstbewusstsein der Tochter zu stärken. Als kleiner Mensch musste Krammel oftmals Beleidigungen, dumme Sprüche oder handfeste Diskriminierungen ertragen.

"Ich fand es immer schlimm, wenn andere Kinder in der Schule 'Zwerg' oder 'Liliputaner' zu mir gesagt haben", bekennt sie und schluckt: "Sagen wir Kleinwüchsige denn ‚Riesen‘ zu den Großen?" Lernte sie neue Kinder kennen, dauerte es immer eine ganze Weile, bis die sich an sie gewöhnt hatten: "Der Wechsel von einer Klasse in die andere war für mich jedes Mal schrecklich, dann kamen wieder neue Kinder und die brauchten wieder eine ganze Weile, bis sie festgestellt hatten, dass ich ein ganz normaler Mensch bin."

Kampf um eine Begleitperson

Wer Krammel trifft, ist fasziniert von ihrer positiven Ausstrahlung. Durch unzählige Kämpfe hindurch fand sie zu einer Lebenseinstellung, die sie heute sagen lässt: "Ich mag mein Leben und bin wirklich glücklich." Die Kämpfe allerdings waren hart. Mehrmals zog Krammel vor das Sozialgericht, um etwas durchzusetzen, was ihr zunächst verwehrt wurde. Dadurch hat sie inzwischen etwa das Recht auf eine Begleitperson. Das ist auch notwendig, da Petra Krammel in der Welt der Großen allein oft nicht weiterkommt.

Bestes Beispiel sind Parkautomaten: "Der Einwurf ist immer so weit oben, dass ich ihn nicht erreichen kann." Im Schwimmbad kann sie die Schließfächer nicht allein bedienen. Auch haben Garderoben in Restaurants, in Kinos und Theatern meist Haken, an die nur große Leute herankommen, um Jacken und Mäntel aufzuhängen: "Deswegen muss ich meine Jacke immer mit mir herumschleppen."

Auch das Einkaufen ist kompliziert. Waren im oberen Regal sind für sie unerreichbar. Einkaufswägen kann sie auch nicht benutzen.
Steinig war auch Krammels beruflicher Weg. Viele Arbeitsfelder fielen für sie als kleinwüchsige Person von vornherein weg. Sie beschloss, Bürokauffrau zu werden; doch auch das war mit Schwierigkeiten verbunden: "Wir mussten noch oft an Aktenschränke, und die waren sehr hoch." An einer Arbeitsstelle sei sie regelrecht gemobbt worden. Durch einen Glücksfall fand sie einen Job bei den US-Streitkräften: "Das war eine echt tolle Erfahrung, man hat mich dort ganz anders behandelt als bei allen anderen Arbeitgebern davor."

Seit Kurzem ist Krammel aus gesundheitlichen Gründen Erwerbsminderungsrentnerin. Auch dafür musste sie kämpfen. Überhaupt waren die letzten zwei Jahre anstrengend: Beide Eltern starben kurz hintereinander. Nach deren Tod zog sie aus dem Elternhaus bei Würzburg nach Volkach in eine barrierefreie Wohnung. Dass sie die Wohnung gefunden hat, sei wie ein Geschenk: Und dann gibt es noch ihren Hund, Kira, den sie über alles liebt. "In letzter Zeit habe ich viel Glück erfahren", sagt sie: "Mein Leben ist nun wirklich richtig schön."