TV-Tipp: "Immerstill" 

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22. Mai, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Immerstill" 
Es gibt kein Problem, dass sich nicht unter einen Teppich kehren ließe. Bei besonders großen Problemen braucht es allerdings nicht nur einen besonders großen Teppich, sondern auch helfende Hände. In Immerstill sind es die Honoratioren, die den Menschen zur Seite stehen, wenn Rat und Tat vonnöten sind.

Eine Hand wäscht die andere, wie das in Dörfern eben so ist. Deshalb trägt der kleine Ort irgendwo in Unterkärnten seinen Friedhofsnamen völlig zu Recht: Abgesehen von gelegentlichen Gerüchten liegt eine Kuppel des Schweigens über Immerstill, obwohl alle wissen, in welchen Häusern Gewalt herrscht. Deshalb glaubt auch kaum jemand an die Erzählung des pensionierten Lehrers, seine von einem Tag auf den anderen verschwundene Frau habe sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht: Es war bekannt, dass sie sich von ihrem Mann, einem berüchtigten Grabscher, trennen wollte. Gut möglich, dass der Gatte nachgeholfen hat; auf eine sehr endgültige Weise. 

Schon allein diese unbehagliche Atmosphäre macht "Immerstill" zu einem sehenswerten Film: Der vom ZDF koproduzierte ORF-"Landkrimi" lebt nicht zuletzt vom Kontrast zwischen den ausgelassenen Faschingsbildern und den frostigen spätwinterlichen Impressionen. Dass die Geschichte aus Sicht einer Heimkehrerin erzählt wird, verstärkt das Befremden: Die junge Lisa (Christina Cervenka) ist vor Spießertum und provinzieller Enge nach Wien geflohen. Ihre jüngere Schwester Marie (Helena Dorothea Greiner) hat sie kürzlich inständig gebeten, nach Hause zu kommen: Vor zwei Wochen ist Maries beste Freundin verschwunden. Seither haben sie und ihre Freundin Natalie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Kati zu suchen, aber niemand hat sie ernst genommen; laut einer SMS hat sich das Mädchen mit seinem Freund Markus nach Neuseeland abgesetzt. Für den Leiter des Polizeipostens, für den Bürgermeister und sogar für Katis Eltern ist die Sache damit erledigt. 

Seit einer Faschingsparty am Abend vor Lisas Ankunft sind Marie und Natalie allerdings ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt, doch auch die Schwester wird abgewimmelt: Die beiden Teenager werden irgendwo versackt sein, heißt es. Lisas Ex-Freund Patrick (Michael Glantschnig), Sohn des Polizeichefs (Gregor Seberg) und ebenfalls Polizist, hält ihre Befürchtungen zunächst zwar ebenfalls für unbegründet, aber weil sie nicht locker lässt, initiiert er eine großangelegte Suchaktion. Als Natalies Leiche im Fluss entdeckt wird, verspricht der Bürgermeister (Fritz Egger), ein Teppichkehrer vor dem Herrn, der bis dahin vor allem fürchtete, auf den Kosten für die Spürhunde sitzen zu bleiben, "nichts unversucht" zu lassen, bis Marie gefunden sei.

Lisa ist überzeugt dass Hubert Lipus (Michael Weger) in sämtliche Fälle verwickelt ist: Der ehemalige Lehrer und heutige lustige Witwer war bei seinen Schülerinnen berüchtigt; auf einem Video ist zu sehen, wie er die Party unmittelbar nach Marie und Natalie verlassen hat. Sie macht sich zunehmend Vorwürfe, nicht sofort auf Maries Hilferuf reagiert zu haben, zumal ihr nach und nach klar wird, wie tief der Abgrund unterm Teppich tatsächlich ist. Katis Freund Markus zum Beispiel, angeblich der Schwarm der weiblichen Dorfjugend, entpuppt sich als schlimmer Finger, der seine Hand sogar gegen die eigene Mutter erhoben hat; noch so ein vermeintliches "Missverständnis", das Bürgermeister und Polizeichef aus der Welt geschafft haben. 

"Alles Schlechte passiert, weil die Leute nicht miteinander reden", heißt es gegen Ende, aber die eigentliche Botschaft ist eine andere: So lange Frauen die Taten ihrer Männer hinnehmen und sich auch noch an deren Vertuschung beteiligen, wird sich nichts ändern. Die Meriten für die Geschichte gebühren Roman Klementovic. Das Drehbuch von Wolf Jacoby, Autor diverser vorzüglicher "Zürich-Krimis", und Regisseurin Eva Spreitzhofer basiert auf dessen gleichnamigem Roman. Spreitzhofer war bereits eine erfahrene Autorin, bevor sie mit "Womit haben wir das verdient?" (2018) ihr Regiedebüt gegeben hat; der mittlerweile fortgesetzte Film ist eine bissige und überraschend islamkritische Komödie über eine Teenagerin, die Muslimin wird.

Auch "Immerstill" ist nicht nur wegen der Handlung sehenswert, zumal die frostigen Winterbilder von Kamerafrau Eva Testor perfekt zu Lisas Stimmung passen. Das gleich zu Beginn erklingende Lied "Erstarrung" aus Franz Schuberts Zyklus "Winterreise" setzt das passende Vorzeichen ("Ich such’ im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur"). Spätere Spannungsleerräume werden wirkungsvoll von der Filmmusik (Iva Zabkar) gefüllt.