Weiter Kritik an Kampagne gegen Radikalisierung von Muslimen

Weiter Kritik an Kampagne gegen Radikalisierung von Muslimen
Der Start der Postkartenaktion "Vermisst" des Bundesinnenministeriums gegen eine Radikalisierung muslimischer Jugendlicher stößt bei Muslimen und bei der Opposition auf heftige Kritik.

Der Islamverband DITIB beklagte in einem am Dienstagabend in Köln veröffentlichten offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) insbesondere, dass für den Start die Keupstraße in Köln ausgewählt wurde, in der die Neonazi-Terrorzelle NSU 2004 eine Nagelbombe gezündet und 22 Menschen verletzt hatte. Ähnlich äußerten sich Politiker von SPD und Grünen.

Der Chef der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), Ali Dere, nannte das Vorgehen in dem Brief an Merkel einen "Affront all denjenigen gegenüber, die bei der Gedenkfeier für die Opfer des NSU-Terrors im Februar glaubhaft ihre persönliche Betroffenheit und Anteilnahme zum Ausdruck gebracht hatten". Er forderte die Kanzlerin auf, "sich persönlich für den Stopp der Kampagne 'Vermisst' einzusetzen. Diese habe zu einer gravierenden Missstimmung zwischen dem Bundesinnenministerium und den muslimischen Religionsgemeinschaften geführt.

Dere warf dem Bundesinnenministerium vor, es habe "jeden Maßstab der Machbarkeit und jegliche Sensibilität verloren". Die unbeirrte Fortsetzung der Kampagne lasse auch den Schluss zu, dass die muslimischen Verbände für die Sicherheitspartnerschaft mit der Bundesregierung "als reine Kulisse und nicht als Partner benötigt wurden". Wegen Differenzen über die Kampagne hatten vier Verbände die Sicherheitskooperation verlassen.

Mit der Kampagne will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) für eine Beratungsstelle werben, an die sich Angehörige und Freunde wenden können, wenn sie das Gefühl haben, ein Mensch in ihrem Umfeld gerate in die Fänge von Islamisten. Ende August wurde die Aktion im Internet gestartet. Das Kleben von Plakaten in der Form von Vermisstenanzeigen verschob das Innenministerium vergangene Woche wegen einer aktuellen Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes. An der Postkartenaktion wurde jedoch festgehalten.

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), nannte die Verteilaktion in der Keupstraße "hochgradig unsensibel". Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass im Zuge der "missglückten Kampagne" auch dort Postkarten verbreitet wurden, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwochsausgabe). Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir: Die Verteilung in der Keupstraße setze der "Sache die Krone auf".