TV-Tipp: "Kein einfacher Mord"

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11. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Kein einfacher Mord"
Der Titel klingt nach Krimi, aber "Kein einfacher Mord" ist vor allem ein Drama, selbst wenn ein Delikt als Handlungsauslöser fungiert: Paul beobachtet seine Frau Nina durchs Fenster beim Seitensprung mit Hockeytrainer Viktor. Als der Sexpartner gewalttätig wird, schlägt er die Scheibe ein, um ihr zu helfen. Diesen Moment der Ablenkung nutzt sie, um Viktor von hinten mit einer seiner Trophäen auf den Kopf zu schlagen.

Weil der Tathergang auf die Polizei wie ein Mord aus Eifersucht wirken würde, macht sich das Ehepaar aus dem Staub; die Tatwaffe deponiert Paul später in einem Mülleimer. Selbstredend landet sie schließlich auf dem Schreibtisch der zuständigen Ermittlerin (Barbara Philipp), und natürlich wird die Kommissarin alsbald auch bei Nina und Paul vorstellig, schließlich ist Nina kurz vor der Tat mit Viktor gesehen worden. 

Das verhängnisvolle Ereignis bildet jedoch nur die halbe Geschichte, denn das Drehbuch von Stefan Rogall, der unter anderem viele Vorlagen für heitere "Wilsberg"-Episoden geliefert hat, bietet dem zentralen Paar vorzügliches Spielmaterial, das Felix Klare und Laura Tonke weidlich nutzen. Klare wählt jenseits der "Tatort"-Beiträge aus Stuttgart ohnehin gern Rollen, die ihm eine gewisse Abgründigkeit garantieren: Männer, die auf den ersten Blick freundlich wirken, wie zuletzt in der Netflix-Serie "Totenfrau" (2023), die aber oft auch andere Seiten offenbaren, etwa in der vortrefflichen ARD-Serie "Schneller als die Angst" (2022). In "Kein einfacher Mord" hält er die männliche Hauptfigur geschickt in der Schwebe: Kurze Seitenblicke genügen, um offen zu lassen, ob Paul tatsächlich aus Liebe oder nicht doch aus purer Berechnung handelt. 

Vom handelsüblichen Krimi unterscheidet sich der Film nicht zuletzt durch den Unterbau. Ein kurzer Prolog, der zwei Jahre vorher spielt, zeigt das Paar auf dem Zenit seiner Beziehung: Paul ist ein angesehener Chirurg, gerade haben die beiden mit dem kleinen Sohn ihr Traumhaus bezogen. Anschließend ist offenbar irgendwas furchtbar schiefgegangen. Er hat seine Approbation verloren und tingelt jetzt als Vertreter für medizinische Bandagen durch Norddeutschland, Nina arbeitet als Hilfskraft in einer Reinigung, sie hat bereits einen Termin beim Scheidungsanwalt, doch je stärker Kommissarin Märthesheimer und ihr Mitarbeiter Koschinski (Bernd-Christian Althoff) versuchen, beide in die Enge zu treiben, desto mehr schweißt die Vertuschung sie wieder zusammen.

Der Reiz der Geschichte, die schließlich in ein entsprechendes Schlussbild kulminiert, als der Sohn direkt in die Kamera blickt, resultiert nicht zuletzt aus der Empathie des Publikums. Weil Märthesheimer und Koschinski das Ehepaar mit immer wieder neuen Erkenntnissen konfrontieren und Nina außerdem eine perfide Falle stellen, kommt es zu regelmäßigen Handlungswendungen, die jedes Mal in die Frage münden: Wie würde ich mich verhalten? 

Ähnlich vorzüglich wie die Leistung des Ensembles ist die Umsetzung durch Regisseur Sebastian Ko. Rogalls Drehbuch handelt im Grunde von der Brüchigkeit der Normalität: Es genügt, dass ein Pfeiler wegbricht, und schon stürzt das fragile Gebilde, das Nina und Paul errichtet haben, in sich zusammen.

Bildgestaltung (Andreas Köhler) und Musik (Sebastian Fillenberg) sorgen bereits zu Beginn dafür, dass sich diese Unsicherheit optisch und akustisch vermittelt. Dabei scheint zum Prolog, als das Paar zur Einweihung des Hauses ein Gartenfest gibt, alles in bester Ordnung zu sein; bis Pauls Chef (Rainer Furch) auftaucht und eine Erklärung verlangt, weil der Arzt in seinem Spind haufenweise Tabletten gehortet hat. Später, als Paul in einer Apotheke auf ein Gespräch mit dem Besitzer wartet, genügt eine Kamerafahrt, um zu verdeutlichen, welchen Sog der offene Schrank mit den Medikamenten auf ihn ausübt. 

Ko, dessen Krimis (etwa für die ZDF-"Ostfriesen"-Reihe oder "Helen Dorn") stets sehenswert sind, kommt ohnehin in vielen Momenten ohne Worte aus. Wie sorgfältig Buch und Regie den Film konzipiert haben, belegen zwei Details: Als Nina sich beim Öffnen einer Tomatendose ungeschickt anstellt, hat sie anschließend die gleichen "Blutspritzer" auf der Bluse wie nach der Tat; und von der Tonspur erklingt wie am Abend des Totschlags das Geräusch einer Nadel, die das Ende einer Schallplatte erreicht hat. Später, als sich das Ehepaar wieder näherkommt, unterlegt Ko die Bilder mit einer Instrumentalversion jenes Liedes ("Johnny and Mary" in der Version von Todd Terje), das Viktor gespielt hatte.

Eine weitere Parallele ist optischer Natur: Als der Sarg ins Grab gelassen wird, nimmt die Kamera die gleiche Perspektive ein wie nach einem Hockeytraining, als das Feld aus der Vogelperspektive gezeigt wird. Eine Schlüsselszene ist die getrennte Befragung im Polizeirevier. Märthesheimer und Koschinski versuchen, Nina und Paul gegeneinander auszuspielen; das Ehepaar sieht sich zwar, kann sich aber nur mit Blicken verständigen. Darin liegt ein weiterer Reiz des Films: Krimis werden in der Regel aus der Ermittlungsperspektive erzählt. Hier jedoch entsteht die Spannung aus der Frage, ob die beiden davonkommen; und zu welchem Preis.