TV-Tipp: "Zitterinchen"

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25. Dezember, ARD, 14:40 Uhr
TV-Tipp: "Zitterinchen"
Wie so viele Märchen von Bechstein ist auch "Zitterinchen" im Grunde traurig, selbst wenn es ausnahmsweise happy endet. Das erfahrene und für seine ARD-Märchen mehrfach ausgezeichnete Drehbuchduo Anja Kömmerling und Thomas Brinx weicht allerdings nicht nur mit dem Schluss entscheidend von der Vorlage ab.

Selbst in den traditionell konservativen Zeichentrickfilmen von Walt Disney entsprechen die Heldinnen schon seit einiger Zeit nicht mehr dem klassischen Barbie-Schema, dem in der Realität nur nachgeeifert werden kann, wenn sich Frauen die unterste Rippe entfernen lassen. Auch die ARD-Märchen folgen längst der Vorgabe, Geschichten divers zu erzählen, sie also mit Figuren zu bestücken, die die gesellschaftliche Realität widerspiegeln. Das ist bei mittelalterlichen Stoffen naturgemäß nicht ganz einfach. Die Drehbücher erlauben sich beim Umgang mit den Vorlagen zwar regelmäßig künstlerische Freiheiten, aber vor Besetzungen, die radikal den Erwartungen widersprechen, scheuen die Verantwortlichen in der Regel zurück. Immerhin hat der Prinz der Ludwig-Bechstein-Adaption "Zitterinchen" eindeutig einen Migrationshintergrund, selbst wenn das zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, niemand so formuliert hätte: Seine Mutter stammt, wie es heißt, aus "südlichen Ländern". 

Auch sonst entspricht Philip, verkörpert von Aram Arami, dem jüngsten Mitglied des Titeltrios der ARD-Reihe "Die Drei von der Müllabfuhr", nicht dem üblichen Königssprossklischee: Der Prinz hat ein Faible für seltene Pflanzen, will einen entsprechenden Almanach verfassen und sucht einen studierten Maler für die notwendigen Zeichnungen. Neben drei eitlen Gecken bewirbt sich auch Alma (Annika Krüger), die im Unterschied zu den Kollegen tatsächlich, wie beauftragt, eine Pflanze und nicht etwa den Auftraggeber malt. Am liebsten zeichnet sie jedoch ihre Schwester Christine (Flora Li Thiemann), in deren Liebreiz sich Philip prompt verliebt, obwohl er sie noch nie leibhaftig gesehen hat. Aufgrund eines Komplotts ehelicht er schließlich jedoch die blasierte Irm (Julia Windischbauer), Tochter einer durchtriebenen Baronin (Justine Hauer), die dafür gesorgt hat, dass Christine den Hof nicht lebend erreicht. 

Wie so viele Märchen von Bechstein ist auch "Zitterinchen" im Grunde traurig, selbst wenn es ausnahmsweise happy endet: Sollte Philip sie nicht erhören, droht Christine ein Dasein in ewiger Dunkelheit. Das erfahrene und für seine ARD-Märchen mehrfach ausgezeichnete Drehbuchduo Anja Kömmerling und Thomas Brinx weicht allerdings nicht nur mit dem Schluss entscheidend von der Vorlage ab. Das Titeltier ist im Übrigen hier wie dort bloß Mittel zum Zweck: Zu Beginn der Geschichte stürzt sich Christine, obwohl sie gar nicht schwimmen kann, in den Fluss, um einen Hund zu retten, und weil der Kleine vor Kälte zittert, nennt sie ihn Zitterinchen. Er wird zunächst zum Postillon d’amour und trägt die Botschaften zwischen dem Schloss und dem Haus der Schwestern hin und her; später, als sich Christine dank einer rätselhaften Nymphe (Mai Duong Kieu) in einem Zwischenreich befindet, kann sie telepathisch mit ihm kommunizieren. 

Anders als frühere preisgekrönte Werke von Kömmerling und Brinx, etwa "König Drosselbart" (2008, Robert Geisendörfer Preis), zeichnet sich "Zitterinchen" weder durch freche Dialoge noch durch ungewöhnliche Figuren aus. Die originellste Idee ist der Einfall, dass Alma die Magd der Baronin im Stil des Jan-Vermeer-Gemäldes "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" malt. Die frühlingssonnige Inszenierung ist zwar grundsolide, aber gleichfalls nicht weiter bemerkenswert. Der erste Langfilm von Regisseurin Luise Brinkmann, ihre Abschlussarbeit an der internationalen Filmschule Köln, war die Komödie "Beat Beat Heart" (2016), anschließend hat sie einige Folgen für die Kika-Serie "Schloss Einstein" und zuletzt fürs ZDF den sehenswerten "Herzkino"-Zweiteiler "Malibu" (2022) gedreht.

Das auffälligste an ihrem Märchenfilmdebüt ist die Arbeit von Kostüm- und Maskenbild. Gerade die turmhoch toupierten Frisuren der Baronin und ihrer Tochter sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet; in Irms Haarschopf zum Beispiel lässt sich eine Karussellspieluhr entdecken. Das Make-up der Nymphe ist ebenfalls sehr fantasievoll; Mai Duong Kieu, ohnehin stets sehenswert, bereichert den Film um eine exotische Note. Aus dem gewohnten Rahmen fällt auch Alma; sie sei, heißt es höflich im ARD-Pressetext, "von etwas kräftigerer Statur" als ihre Schwester. Zu den Schauplätzen des in Thüringen gedrehten Films gehören die Orangerie des Belvedere in Weimar sowie der Botanische Garten Jena. Als Königspalast dienten die Dornburger Schlösser sowie Schloss Crossen.

Morgen zur gleichen Zeit zeigt die ARD das Märchen "Die Gänseprinzessin". Hauptfigur ist eine ständig zu Scherzen aufgelegte Frohnatur, die ihr Talent seit Jahren nur noch im Verborgenen ausleben darf: Nach dem spurlosen Verschwinden von Prinz Nepomuk hat der König Staatstrauer verordnet; wer dagegen verstößt, muss damit rechnen, im Kerker zu landen. Als Polly die "Trauergeiselhaft" nicht mehr aushält und am Gedenktag für den Bruder den versammelten Hofstaat mit einem Furzkissen zum Lachen bringt, bleibt ihr keine Wahl, als das Schloss zu verlassen. Die Geschichte ist sympathisch, das Ensemble auch, aber die Inszenierung ist etwas ereignislos. Interessanteste Figur dieses Films, der mit der Vorlage der Brüder Grimm allenfalls die Gänse gemeinsam hat, ist eine geheimnisvolle Waldfrau (Leslie Malton), bei der lange offen bleibt, ob sie gut oder böse ist.