Religionssoziologe: "Wer weg ist, den kriegt man kaum wieder"

Religionssoziologe: "Wer weg ist, den kriegt man kaum wieder"
27.06.2022
epd
epd-Gespräch: Franziska Hein

Frankfurt a.M. (epd). Der Trend zum Kirchenaustritt wird sich nach Meinung des Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack weiter beschleunigen. „Die Beschleunigung könnte noch einmal zunehmen, weil die Kirchenmitgliedschaft immer stärker der Rechtfertigung bedarf“, sagte Pollack dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Heute müssen Gründe mobilisiert werden, warum man in der Kirche ist, während früher Gründe für den Austritt gesucht werden mussten.“

Die Kirchen können laut Pollack im Grunde wenig tun, um den Trend aufzuhalten. „Wer weg ist, den kriegt man kaum wieder“, sagte er.

Schon jetzt sei es so, dass immer weniger Kinder getauft würden und durch Taufen der Verlust an Kirchenmitgliedern, die sterben, nicht ausgeglichen werden könne. Die meisten Menschen würden sich nicht bewusst für eine Kirchenmitgliedschaft entscheiden, „vielmehr wird man ja in der Regel in die Kirche hineingeboren“, sagte Pollack. Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse wandeln, dann stehe die Mitgliedschaft bei vielen infrage. Insofern sei die 50-Prozent-Schwelle eine wichtige Marke. Nach am Montag veröffentlichen Zahlen waren im Jahr 2021 erstmals weniger als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland evangelisch oder katholisch.

Einer Prognose aus dem Jahr 2019 zufolge könnten sich die Mitgliederzahlen und ebenso die finanziellen Ressourcen der Kirchen bis 2060 halbieren. Wenn die Finanzkraft der Kirchen zurückgehe, führe das vielerorts zu größeren Gemeinden und zu Personalabbau, erläuterte der Religionssoziologe. Damit schwänden jedoch auch wichtige Kontaktflächen zwischen den Menschen in der Gesellschaft und dem kirchlichen Personal, was den Mitgliederverlust weiter vorantreibe. „Bindung an die Kirche ist eben auch eine Bindung an die Personen, die in der Kirche tätig sind“, betonte Pollack.

Der Universitätsprofessor plädierte dafür, dass die Kirchen sich auf die Seelsorge konzentrieren. „Dort hat das, was die Kirche tut, oft einen unmittelbaren Effekt“, sagte er. Die Kirche sei eine „Institution im Hintergrund“, die man gelegentlich in Anspruch nehme - etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Doch jeder Mensch kenne Phasen im Leben, in denen er Begleitung schätze.

Kirchenmitgliedschaft habe sehr wohl einen Effekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sagte Pollack. Kirchenmitglieder und religiöse Menschen hätten Studien zufolge mehr Vertrauen in andere Menschen und würden sich auch mehr ehrenamtlich engagieren. „Kirchenmitgliedschaft macht für das soziale Band unserer Gesellschaft also durchaus einen Unterschied, wenn auch keinen großen“, erläuterte der Wissenschaftler.