TV-Tipp: "Die Wannseekonferenz"

Alter Röhrenfernseher vor Wand
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
24. Januar, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Wannseekonferenz"
An einem Wintertag trifft sich ein gutes Dutzend hochrangiger Herrschaften, um eine anstehende Herausforderung zu besprechen. Der Ort der Begegnung am Rande Berlins ist gut gewählt: Abseits des großstädtischen Treibens mit beschaulichem Blick auf den Wannsee haben die Männer Muße genug, um die logistischen und organisatorischen Details zu erörtern; immerhin geht es um eine Frage, die ganz Europa betrifft.

Was wie die Vorstandssitzung eines multinationalen Konzerns wirkt, der vor einer erheblichen Umstrukturierung steht, ist in Wirklichkeit die Planung eines in der Historie noch nie da gewesenen Genozids: Am Vormittag des 20. Januar 1942 haben führende Vertreter des NS-Regimes im Rahmen einer "Besprechung mit Frühstück" die "Endlösung der Judenfrage" diskutiert. Versammelt waren Repräsentanten aller betroffenen Einrichtungen: die Staatssekretäre der zuständigen Ministerien ebenso wie Abgesandte der verschiedenen polizeilichen Organisationen, gerade auch aus den besetzen Ostgebieten. 

Anlässlich des achtzigsten Jahrestags hat das ZDF das Ereignis neu verfilmen lassen. Die Umsetzung hat der Sender dem mit allen wichtigen TV-Preisen geehrten Duo Matti Geschonneck (Regie) und Magnus Vattrodt (Buch) übertragen. Der Regisseur, ohnehin ein Meister seines Fachs, hat schon einige fesselnde Kammerspiele gedreht, unter anderem das Beziehungsdrama "Liebesjahre" (2011, Grimme-Preis). Tatsächlich lässt die Bildgestaltung von Theo Bierkens, mit dem Geschonneck regelmäßig zusammenarbeitet, auch diesmal vergessen, dass sich die Handlung über weite Strecken in einem Konferenzraum zuträgt. Der Film wirkt in keinem Moment wie ein abgefilmtes Theaterstück, was natürlich auch eine Frage des Schnitts (Dirk Grau) ist, der für eine gewisse Dynamik sorgt. 

Mindestens ebenso wichtig ist Geschonnecks Arbeit mit den Schauspielern. Bei deren Auswahl war nicht nur das individuelle Talent entscheidend, sondern auch die Homogenität des Ensembles. Die Handlung besteht zwar im Wesentlichen aus kurzen Referaten, aber es wird mehrfach diskutiert, wobei gerade die Politiker eine besondere Rolle spielen, weil die Staatssekretäre auf Zuständigkeiten und Kompetenzen pochen; Ressentiments und gegenseitige Animositäten kommen ebenfalls zum Tragen. Bei der Zusammenstellung des Ensembles hat Geschonneck auf Topstars verzichtet. Die Mitwirkenden sind zum Teil zwar namhaft (Maximilian Brückner, Simon Schwarz, Fabian Busch) und agieren ausnahmslos vorzüglich, aber niemand drängt sich allein aufgrund seiner Popularität in den Vordergrund. 

Trotzdem gibt es eine Hauptfigur, aber nicht deshalb verdient die Leistung Philipp Hochmairs besondere Wertschätzung: Er versieht den Versammlungsleiter Reinhard Heydrich mit einer auf perfide Weise sympathischen Mischung aus Charme und Charisma. In einer früheren britisch-amerikanischen Verfilmung des Stoffs hat Kenneth Branagh den Chef des Reichssicherheitshauptamts gespielt; das war der Maßstab für Hochmair, der den Vergleich jedoch nicht zu scheuen braucht. In unguter Erinnerung wird zudem die Eiseskälte von Jakob Diehl als Gestapo-Chef Heinrich Müller in Erinnerung bleiben. Sehr interessant ist auch Thomas Loibl als Friedrich Wilhelm Kritzinger, skrupulöser Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, der als einziger Teilnehmer der Runde humanistische Argumente vorträgt; die Sorge gilt allerdings nicht den Juden ("furchtbar unerfreuliches Thema"), sondern den seelischen Folgen, die der Massenmord bei den Tätern hinterlassen könnte. Seine Ausführungen stehen in einem krassen Kontrast zur technokratischen Bürokratensprache, die den Genozid mit neutralen Begriffen wie "Einwaggonieren", "Wegarbeiten" oder "Sonderbehandlung" umschreibt und vergessen lässt, dass es hier um Menschen geht. Unverblümt sind neben den privaten Zwiegesprächen in den Pausen ("Was macht der Osten?" "Zu viele Juden, aber wir arbeiten dran.") allein die wahlweise zynischen oder süffisanten Zwischenbemerkungen.

Gerade der Kontrast zwischen der Ungeheuerlichkeit des geplanten elfmillionenfachen Massenmords und den kleinlichen Zwistigkeiten etwa um die Frage, welcher Behörde die "arisierten" Vermögen der Juden zustehen, verleiht dem Film eine morbide Faszination. Das Drehbuch (Koautor: Paul Mommertz) basiert zwar auf einem 15seitigen Protokoll Adolf Eichmanns – Johannes Allmayer verkörpert den Leiter der Abteilung Judenangelegenheiten im Reichssicherheitshauptamt als seelenlosen Bürokraten –, aber darin sind im Wesentlichen nur die Ergebnisse notiert. Geradezu absurd wird der Disput, wenn sich Wilhelm Stuckart (Godehard Giese), Staatssekretär im Innenministerium und Mitverfasser der Nürnberger "Rassegesetze", minutenlang mit unbewegter Miene über den Umgang mit "Halb-" und "Vierteljuden" auslässt, als ginge es um Schrauben unterschiedlicher Größe. Welche psychische Belastung die Dreharbeiten für die Schauspieler dargestellt haben, lässt sich nur erahnen.

Ihnen allen ist es jedoch ausnahmslos gelungen, die "Banalität des Bösen" in höchstem Maße glaubwürdig zu verkörpern. Mit diesem Begriff hat Hannah Arendt ihr 1963 erschienenes Buch über den Prozess gegen Eichmann betitelt: weil sich der vermeintliche Teufel in Menschengestalt als ganz normaler Mensch entpuppte, der sich bloß an die Gesetze gehalten hat. Die Bedeutung dieses Films gerade in der heutigen Zeit, da die Verbrechen des Nationalsozialismus gern verharmlost werden, weil die sogenannten Querdenker ihre Lage mit jener der Juden im "Dritten Reich" vergleichen, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 

"Die Wannseekonferenz" ist Teil eines umfangreichen ZDF-Schwerpunkts im Fernsehen wie auch im Internet zu diesem Thema. Unter anderem zeigt das "Zweite" im Anschluss an das Drama (22.00 Uhr) eine Dokumentation gleichen Titels.