E-Mail gegen Suizid: Anonyme Beratung für Jugendliche

epd-bild/Martin Magunia, Joker
So vielfältig die Ursachen dafür sind, dass junge Leute keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen, so breit sind die Hilfsangebote
E-Mail gegen Suizid: Anonyme Beratung für Jugendliche
10.000 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben. Suizidgefährdete Jugendliche können die E-Mail-Beratung der Einrichtung "u25" in Anspruch nehmen. Doch diese ist so populär geworden, dass viele Jugendliche abgewiesen werden müssen.
09.05.2012
epd
Sebastian Stoll

Sieben Stunden, dann würde es so weit sein. "Ich kann nicht mehr. Heute Abend springe ich von einer Brücke." Ungefähr das war der Inhalt der Mail, die Anne an einem Mittag erhielt. Geschrieben hatte die Nachricht ein Mädchen, das in seiner Kindheit schwersten sexuellen Missbrauch erlebt hatte.

Es dauerte wenige Minuten, dann hatte Anne ihre Antwort verfasst. "Nach allem, was du geschrieben hast, kann ich das gut nachvollziehen. Aber ich wünsche mir trotzdem, dass du einen anderen Weg einschlägst." Danach hörte Anne nichts mehr von dem Mädchen, wochenlang. "Das belastet mich dann schon. Trotzdem versuche ich immer, mich davon nicht in meiner Laune beeinflussen zu lassen", sagt sie dazu.

Ein besonders dramatischer Fall

24 Jahre ist Anne alt. Sie wird in diesem Text anonym bleiben - genauso wie gegenüber dem Mädchen, das ihr jene Mail schrieb. Auch wenn dieser Fall besonders dramatisch war: Ähnliche Nachrichten bekommt Anne mehrmals in der Woche. Sie ist ehrenamtliche Mitarbeiterin beim Freiburger Projekt "u25", das eine E-Mail-Beratung für suizidgefährdete Jugendliche anbietet. Beraten werden diese dort nur selten von professionellen Helfern - sondern von anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Wie von Anne.

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"Bevor ein Jugendlicher mit der Beratung anfängt, absolviert er bei uns eine lange Ausbildungsphase", sagt Solveig Rebholz. Die Sozialarbeiterin ist eine von drei hauptamtlichen Mitarbeitern des Projekts und begleitet die 44 Betreuer im Alter zwischen 16 und 25. Sie erklärt ihnen, worum es sich bei einer Depression genau handelt, sie geht mit ihnen Fallbeispiele möglicher E-Mails durch - und sie bringt ihnen bei, wie sie mit existenziellen Krisen anderer Menschen umgehen, ohne selbst in eine solche zu rutschen.

Wenn die jungen Menschen nach einigen Monaten so weit sind, werden ihnen zunächst zwei Klienten zugewiesen. Melden sich diese, sind sie verpflichtet, binnen einer Woche zu antworten. "Das ist unser Konzept. Bei uns bieten Jugendliche anderen Jugendlichen eine Beziehung an und sagen: 'Ich begleite dich in deiner Krise." Für Jugendliche sei es oft viel einfacher, Hilfe von Menschen anzunehmen, die selber jung sind.

"Man merkt immer wieder: Es bringt etwas"

Die Berater zwischen 16 und 25 Jahren kommen zu u25, weil sie selbst einmal eine Krise mit Hilfe anderer Menschen überwunden haben und nun etwas zurückgeben wollen; oder weil sie später in einem sozialen Beruf arbeiten wollen oder einfach nur, weil sie das Projekt spannend finden. Anne sagt: "Mich treibt an, dass man immer wieder merkt: Es bringt etwas. Man kann allein mit geschriebenen Wörtern helfen."

Einfach da zu sein - das ist im Grunde das ganze Geheimnis von u25. Es funktioniert so gut, dass die Einrichtung genau damit mittlerweile Probleme hat. Den 283 Jugendlichen, die u25 im Jahr 2011 begleitet hat, stehen 910 gegenüber, die die Einrichtung abweisen musste. Es sind einfach zu viele Anfragen. "2010 mussten wir sogar 1.400 Jugendlichen absagen. Es ist ganz schlimm, einen Menschen abweisen zu müssen, der vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben Hilfe sucht", sagt Sozialarbeiterin Solveig Rebholz. Die Mittel, die von Stadt, Land und aus ein paar Spenden fließen, reichten hinten und vorne nicht.

Eine Flut von Anfragen

E-Mail-Beratungen wie bei u25 gibt es noch in Tübingen und Berlin. Der Hamburger Psychologe und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Georg Fiedler, stellt fest, dass Onlineberatungen teilweise in einer "Flut von Anfragen ertrinken". Er fordert deshalb einen Ausbau der Angebote.

Das Mädchen, das der Beraterin Anne seinen Suizid ankündigte, meldete sich einigen Wochen wieder. Es sei ihr Hund, der sie am Leben gehalten habe, schrieb sie. Und auch ein bisschen die Unterstützung durch einen anderen jungen Menschen.