TV-Tipp: "Ferdinand von Schirach: Glauben"

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1. Dezember, Vox, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Ferdinand von Schirach: Glauben"
Die gern auf Fällen aus seiner Praxis als Strafverteidiger beruhenden Geschichten von Ferdinand von Schirach kreisen in der Regel um die beiden Schlüsselbegriffe Recht und Gerechtigkeit.

Seine Helden streben stets danach, ihren Klienten zu ihrem Recht zu verhelfen, und das heißt zumeist, sie vor einer vermeintlichen gerechten Strafe zu bewahren. So beginnt auch die Serie „Glauben“: Eine Frau wird beschuldigt, ihren Gatten erschossen zu haben, um die kurz zuvor abgeschlossene Lebensversicherung zu kassieren. Heimtücke und Habgier: Der Fall scheint klar; allerdings entdeckt Richard Schlesinger (Peter Kurth) auf den Tatortfotos ein Detail, das das scheinbar unumstößliche Indiziengebäude in sich zusammenfallen lässt wie ein Kartenhaus.

Die ersten beiden der sieben jeweils gut dreißig Minuten langen Folgen wirken wie einer jener Kurzfilme, wie sie im Rahmen der ebenfalls von Oliver Berben produzierten Reihen „Verbrechen“ (2013) und „Schuld“ (2014-2019) für das ZDF entstanden sind: in sich abgeschlossene Handlungen, in denen es gelungen ist, komplexe juristische Sachverhalte auf den Punkt zu bringen. Tatsächlich ist „Glauben“ jedoch ein Spielfilm in sieben Teilen. Der Auftakt entpuppt sich als Prolog, der vor allem die zentrale Figur einführen soll: Schlesinger galt mal als bester Strafverteidiger Berlins, hat aber nach dem Tod seiner Frau den Boden unter den Füßen verloren. Brillant ist er immer noch; außerdem ein Trinker und hoch verschuldet. Welcher Art diese Schulden sind, wird nicht näher erläutert, doch sie führen zu einer Begegnung mit einer Frau, die ihm die säumige Zahlung auf schmerzhafte Weise ins Gedächtnis rufen soll. Azra, von Narges Rashidi als mysteriöse Sphinx verkörpert, beauftragt Schlesinger mit der Verteidigung eines Gastwirts. Der Mann ist einer von über zwei Dutzend Angeklagten, denen vorgeworfen wird, im Keller seines Lokals in dem Provinznest Ottern Sexorgien mit kleinen Kindern gefeiert zu haben.

Schirach hat sich zu der Geschichte durch die sogenannten Wormser Prozesse inspirieren lassen: Mitte der Neunziger ist am Landgericht Mainz über den vermeintlich größten Missbrauchsfall in der Geschichte der Bundesrepublik verhandelt worden. Zum Prozess kommt es jedoch erst gegen Ende. Zuvor sucht Schlesinger die verschiedenen Beteiligten auf, darunter auch die Kommissarin (Désirée Nosbusch), die dem Juristen offenbart, dass der eifrige junge Staatsanwalt (Sebastian Urzendowsky) die Ermittlungen früh an sich gezogen hat. Seine Anklage basiert praktisch ausschließlich auf den Erkenntnissen einer Frau (Katharina Marie Schubert), die viele Gespräche mit den betroffenen Kindern geführt hat.

Kaum jemand wäre für die Rolle als Fels in der Brandung besser als Peter Kurth. Ähnlich wie weiland Robert Mitchum eignet sich der durch „Babylon Berlin“ endlich zum Star gewordene Schauspieler seine Rollen derart konsequent an, dass er sie nicht mehr bloß spielt, sondern buchstäblich verkörpert. Trotzdem versieht er seine gern buddhagleich in sich ruhenden Figuren oft mit einer Fragilität, die auch Schlesinger bei aller Misanthropie zum Sympathieträger macht. Unbedingt sehenswert ist „Glauben“ zudem wegen Narges Rashidi. Die in Hessen aufgewachsene gebürtige Iranerin steht schon viel zu lange vor der Kamera, um als Entdeckung zu gelten, hat im deutschen Fernsehen bislang aber meist nur Nebenfiguren gespielt. Ihre Rolle als elegante Killerin ist mehr als ungewöhnlich. In Schwarzweiß gehaltene Andeutungen offenbaren, was Azra einst auf die dunkle Seite getrieben hat. Viele weitere kleine Rollen sind ähnlich prägnant besetzt. Einige der entsprechenden Nebenhandlungen wirken wie Exkurse, etwa Schlesingers Besuch einer Kleintierhandlung, wo er sich mit einer zunehmend genervten Verkäuferin (Jasna Fritzi Bauer) auseinandersetzt; sie sorgen dafür, dass die Serie immer wieder kurz aus der Düsternis des Stoffes ausbricht.

Die Dialoge, die Schirach nicht nur für seine Hauptfigur geschrieben hat, sind ohnehin famos, zumal Kurth gerade seine Einzeiler mit großer Trockenheit vorträgt. Dank der ausgezeichneten Mitwirkenden klingt auch ein Disput zwischen Schlesinger und der selbsterklärten Kinderschützerin über Schirachs bevorzugte Themen Schuld, Gerechtigkeit und Moral nicht abstrakt. Neben dem Drehbuch mit seinem fesselnden Finale im Gerichtssaal, in dessen Verlauf sich auf wundersame Weise eins zum anderen fügt, liegt die große Stärke der Serie in Daniel Prochaskas Arbeit mit dem Ensemble. Der Sohn des vor allem für die ZDF-Reihe „Spuren des Bösen“ bekannten österreichischen Regisseurs Andreas Prochaska hat die Bildgestaltung zum wiederholten Mal Matthias Pötsch anvertraut, der sowohl sein TV-Debüt „Geschenkt“ (2019) wie auch den ORF-Landkrimi „Waidmannsdank“ in schwere, erdige Töne getaucht hat. Für „Glauben“ haben Prochaska und sein Kameramann eine angesichts des Themas überraschend heimelige Bildgestaltung mit warmen Farben gewählt. Optisch eindrucksvoll aufgelöst ist auch der Rundgang durch ein virtuelles Kriminalmuseum, bei dem Schlesinger einer Journalistin (Sheri Hagen) anhand eines authentischen Falls klarmacht, warum sich Ermittlungen in eine fatale Richtung entwickeln können, wenn am Beginn einer Kausalkette eine Fehleinschätzung steht. Seine Schlussfolgerung ist auch eine Botschaft an die Nutzerinnen und Nutzer digitaler Netzwerke, deren Empörung immer wieder den Bildschirm füllt: „Wahrheit ist nicht Mehrheit“. Vox zeigt heute vier Folgen und den Rest am 8. Dezember.