Sozialexperten beklagen Ungleichheit bei Bildung und Einkommen

Sozialexperten beklagen Ungleichheit bei Bildung und Einkommen
Regionalbischöfin Bahr: Bildung ist Schlüssel im Kampf gegen Armut
Die soziale Spaltung schreitet in Deutschland nach Ansicht von Experten voran. Sie fordern ein Umdenken: Es könne nicht richtig sein, dass in einer Krise reiche Menschen reicher, arme Menschen aber ärmer werden.

Sozialexperten haben die zunehmende Spaltung der Gesellschaft zwischen Armen und Reichen beklagt. "Wir sehen eine Verfestigung von Armut", sagte der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke bei einem Online-Kongress in Hannover. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) beklagte eine "Überökonomisierung" in der Altenpflege. Corona habe gezeigt, dass das System "auf Kante genäht" sei und schon unter normalen Bedingungen am Rande seiner Möglichkeiten operiere: "In Pandemie-Zeiten ist es überfordert." Der Kongress stand unter der Überschrift "Der Sozialstaat von morgen. Das Soziale neu denken".

Lenke zufolge haben sich die Vermögen in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich entwickelt. Es sei "unanständig", wenn die reichsten Menschen der Welt in Krisenzeiten innerhalb eines Jahres ihr Milliardenvermögen verdoppelten. "Der Markt an sich ist nicht ethisch", mahnte Lenke. "Die Maske ist ein Pfennig-Artikel. Als wir keine FFP2-Masken mehr hatten, kosteten sie plötzlich zehn Euro." Das sei dann zwar marktgerecht, aber unethisch.

"Schulpolitisches Desaster"

Petra Bahr, die Regionalbischöfin des Sprengels Hannover, betonte die Bedeutung fairer Bildungschancen im Kampf gegen soziale Ungleichheit. Sie forderte eine neue schul- und bildungspolitische Debatte. Durch Lockdown und Homeschooling hätten viele Kinder und Jugendliche den Anschluss verloren. Die Ungerechtigkeit bei der Bildung sei das Ergebnis eines "schulpolitischen Desasters" und berge großen gesellschaftlichen Sprengstoff, sagte die Theologin, die auch dem Deutschen Ethikrat angehört. Nötig sei ein Bildungssystem, in dem sich alle Kinder angenommen und gewollt fühlten, unabhängig von der Muttersprache oder vom Einkommen der Eltern.

Auch aus Sicht des Kölner Armutsforschers Christoph Butterwegge hat sich die Schere zwischen Arm und Reich während der Pandemie weiter geöffnet. "Die Ungleichheit ist gewachsen. Die ganz Reichen sind noch reicher geworden." Viele Gering- und Normalverdiener seien dagegen durch das Kurzarbeitergeld unter die Armutsgefährdungsgrenze gerutscht. "Wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten", sagte Butterwegge. Er plädierte für eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen - auch Beamte, Abgeordnete oder auch Freiberufler.

Zu dem digitalen Sozialkongress mit rund 300 Teilnehmenden und mehr als 50 Referenten aus Gesellschaft, Wissenschaft und Politik hatten die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen eingeladen. Auf dem Programm standen Diskussionen zu den Themen Wohnen, Arbeit, Gesundheit, und Geschlechtergerechtigkeit, zu Armut und zum europäischen Vergleich der Sozialstaaten.