TV-Tipp: "Orgasmus – das höchste der Gefühle"

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TV-Tipp: "Orgasmus – das höchste der Gefühle"
Donnerstag, 10. Juni, 3sat, 20.15 Uhr
Kristina Forbat und Denise Dismer standen bei ihrer Dokumentation "Orgasmus – das höchste der Gefühle" vor einer nicht einfachen Herausforderung: Weil selbst eine 3sat-Produktion um 20.15 Uhr keinen expliziten Sex und erst recht keine Pornografie zeigen darf, mussten die "Spiegel TV"-Autorinnen" sehr einfallsreich vorgehen.

Als Sex im Film noch sittenwidrig war, haben sich Autoren und Regisseure allerlei einfallen lassen, um mit vermeintlich harmlosen Bildern zu illustrieren, was nicht gezeigt werden durfte. In einer der berühmtesten Szenen dieser Art werden Burt Lancaster und Deborah Kerr in Fred Zinnemanns Klassiker "Verdammt in alle Ewigkeit" am Strand buchstäblich von den Wellen der Leidenschaft überrollt.

Forbat und Dismer standen bei ihrer Dokumentation vor einer ähnlichen Herausforderung: Die "Spiegel TV"-Autorinnen Archivbilder bedienen sich anderer Bilder: von blubbernder Lava, sich öffnenden Blütenkelchen, einem Korken, der aus einer Champagnerflasche fliegt, oder einem zerplatzenden Luftballon, der eine Kaskade goldener Schnipsel verteilt; auch die Wellen der Leidenschaft finden Verwendung.

Das klingt vielleicht nicht sonderlich originell, fügt sich aber ausgezeichnet in die gesamte Anmutung dieser abwechslungsreich gestalteten Sendung. Das Konzept erinnert allerdings mitunter an die Beiträge der gern gefühligen ZDF-Reportagereihe "37 Grad". Wie dort gibt es nicht nur einen allwissenden Kommentar, der einige Male erzählt, was in den Köpfen der Mitwirkenden vorgeht, sondern auch überflüssige Alltagsszenen (eine Frau an der Nähmaschine, ein Mann beim Gemüseschnippeln), die eine bemühte Dynamik in ansonsten statische Gesprächssituationen bringen sollen.

Davon abgesehen ist dieser Film über die Erforschung des "höchsten der Gefühle" eine facettenreiche Erkundung der menschlichen Sexualität. Zur Veranschaulichung der Ausführungen dienen Zeichnungen, die durchaus künstlerische Ansprüche erfüllen, sowie Grafiken, die optisch geschickt integriert werden. Beeindruckend ist vor allem der Facettenreichtum der Sendung.

Rund um zwei Protagonistenpaare, zu denen Forbat und Dismer immer wieder zurückkehren, tummelt sich eine Vielzahl klug ausgewählter Expertinnen und Experten, darunter eine Sexualtherapeutin, eine Evolutionsbiologin und ein Professor für Männergesundheit, die das nötige Hintergrundwissen beisteuern.

Im Zentrum stehen ein Mann und eine Frau um die 30, deren Bewegungsspielraum stark eingeschränkt ist: David ist seit einem Unfall vor acht Jahren querschnittsgelähmt, Lisa saß schon als Kind im Rollstuhl. Sex haben sie trotzdem, erfüllend ist er anscheinend auch: Lisa hat mit David das erste Mal überhaupt einen Orgasmus erlebt.

Die Offenheit, mit der sie über ihre Sexualität sprechen, ist bewundernswert, aber die zwei sind ohnehin ein ungewöhnliches Paar: David ist zumindest laut Kommentar der erste professionelle Rollstuhlskater in Deutschland. Die entsprechenden Aufnahmen aus der Halfpipe haben zwar rein gar nichts mit dem Thema zu tun, sind aber in der Tat spektakulär. Gegenentwurf ist ein ungefähr doppelt so altes Paar, dem es im Verlauf seiner vierzigjährigen Beziehung wie vielen Eltern ergangen ist: Als die Kinder aus dem Haus waren, stellten die beiden fest, dass ihnen im Verlauf ihrer langen Ehe die Leidenschaft abhanden gekommen ist. Der Besuch eines Tantra-Seminars hat sie einander wieder näher gebracht.

Trotzdem geht es in der 45-minütigen Dokumentation nicht um Anregungen, wie Menschen ihr Sexualleben erfüllender gestalten können, zumal der Orgasmus sogar in gewisser Weise entmystifiziert wird, weil auch der Weg dorthin das Ziel sein kann; eine Bergwanderung, heißt es mal, müsse ja auch nicht zwingend auf den Gipfel führen.

Der eigentliche Wert der Sendung liegt in der Vielfalt ihrer Aspekte. Die Autorinnen gehen zum Beispiel der Frage nach, welche Folgen Porno-Konsum für Jugendliche hat, schließlich vermitteln die in der Regel aus männlicher Perspektive inszenierten Filme nicht gerade ein realistisches Bild von Sexualität.

Bei vielen Jungs führt übermäßiger Porno-Konsum offenbar sogar zu Dysfunktionen, weil sie sich zu sehr unter Leistungsdruck setzen; von sexuellen Praktiken, zu denen nicht jede Frau bereit ist, ganz zu schweigen. Allerdings räumt eine Gestalterin von erotischen Geschichten speziell für Hörerinnen mit dem weitverbreiteten Klischee auf, Frauen stünden nur auf Blümchensex.

Im Anschluss (21 Uhr) an die Dokumentation diskutiert Gert Scobel mit dem Urologen und Andrologen Frank Sommer sowie der dänischen Psychologin und Sexologin Ann-Marlene Henning unter anderem über die Frage, ob die Qualität von Sexualität dank der Enttabuisierung in den letzten 50 Jahren zugenommen hat.