TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Der Wegspuk"

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TV-Tipp: "Die Toten vom Bodensee: Der Wegspuk"
18. Januar, ZDF, 20.15 Uhr
"Wegspuk" ist vorbildlich. In seinem zehnten Drehbuch für "Die Toten vom Bodensee" erzählt Timo Berndt eine Geschichte, die schon allein durch ihre Vielschichtigkeit fasziniert; aber nicht nur deshalb ist die Episode endlich mal wieder ein richtig guter Beitrag zu der zuletzt nur noch mittelmäßigen Krimireihe.

"Alles hängt mit allem zusammen": Das ist nicht nur der Kern vieler Verschwörungsmodelle, sondern auch eine gern befolgte Devise für Drehbücher; vor allem bei Krimis. Die Qualität der Filme resultiert meist aus der Frage, wie plausibel es den Autoren gelungen ist, die Zusammenhänge zu erklären. In dieser Hinsicht ist Timo Berndts Erzählung vom "Wegspuk" geradezu vorbildlich. In seinem zehnten Drehbuch für "Die Toten vom Bodensee" erzählt er eine Geschichte, die schon allein durch ihre Vielschichtigkeit fasziniert; aber nicht nur deshalb ist Michael Schneiders Episode endlich mal wieder ein richtig guter Beitrag zu der zuletzt nur noch mittelmäßigen Krimireihe.

Zentrum der Handlung ist eine seit vielen Jahren leerstehende und entsprechend heruntergekommene alte Villa, in der es angeblich spukt. Tatsächlich hören drei Kinder, die sich im Rahmen einer Mutprobe ins Haus geschlichen haben, unheimliche Geräusche, doch die sind keineswegs jenseitigen Ursprungs: In einem der vielen Zimmer tötet ein junger Mann einen älteren.

Weil die Kinder eine Kamera auf Rädern vorgeschickt haben, hat die deutsch-österreichische Ermittlungsbehörde einen zweifelsfreien Beweis: Jakob Stocking (Robert Finster) hat den Bauunternehmer Hauer erstochen. Er versichert jedoch, er habe in Notwehr gehandelt und den anderen zudem überhaupt nicht gekannt. Die anonyme SMS, mit der er zur Villa gelockt wurde, um dort wichtige Informationen über seine Eltern zu erhalten, ist jedoch bereits drei Wochen alt.

Und warum hat er nach der Tat ausgerechnet Mia Burgstaller (Katharina Lorenz) um Hilfe gebeten? Die Anwältin ist die Verlobte von Hauers Sohn, hat aber derzeit ganz andere Sorgen, denn ihre 15-jährige Tochter Sophia hat kürzlich versucht, sich das Leben zu nehmen – im Garten der Villa; seither liegt sie im Koma.

Auch Stocking steht noch unter dem Eindruck eines tragischen Ereignisses: Vor zwei Wochen sind seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der junge Mann schwört, dass der Unfall kein Zufall war. Er muss es wissen, denn er war der Fahrer; aber vielleicht hat ihm seine Fantasie einen Streich gespielt, weil er irgendwie mit der Schuld leben muss.

Wie in allen guten Krimis wirft jede Antwort, die Hannah Zeiler und Micha Oberländer (Nora Waldstätten, Matthias Koeberlin) finden, neue Fragen auf. Stocking zum Beispiel ist eine Art Phantom, seine Existenz scheint überhaupt erst im siebten Lebensjahr begonnen zu haben. Bis dahin lebte er mit seinen Eltern ohne Kontakt zur Außenwelt auf einer Alm, aber auch in seinem späteren Leben  hat er praktisch keine Spuren hinterlassen.

Noch größer ist die Verblüffung des Ermittlerduos und seines Vorgesetzten, als sich rausstellt, dass Mia die Villa gehört. Die Kindheit der Anwältin war von einem traumatischen Ereignis geprägt: Als sie von einem Wochenende bei ihrem leiblichen Vater zurückgekehrt ist, waren ihre Mutter, ihr Stiefvater und ihr jüngerer Halbbruder samt sämtlicher Habseligkeiten nicht mehr da. Der zweite Mann ihrer Mutter war hoch verschuldet und hatte sich offenbar mit seiner Familie ins Ausland abgesetzt.

Berndt erfüllt zwar auch die üblichen Gepflogenheiten des Reihenkrimis, indem er Mias vom Vater aus der Firma geworfenen Verlobten (Thomas Unger) als Verdächtigen präsentiert, aber das ist bloß das obligate Ablenkungsmanöver. Viel fesselnder ist die Verflochtenheit der handelnden Personen miteinander, zumal sich offenbar all’ ihre Lebenswege irgendwann in der Villa gekreuzt haben.

Berndt hat es sogar geschafft, das Privatleben von Zeiler schlüssig zu integrieren, denn der schon seit einigen Episoden in die Kriminalinspektorin verliebte junge Nachbar Raphael (Christopher Schärf) arbeitet als Pädagoge in einer Ferienbetreuung für Jugendliche. Auch Sophia war in dem Zeltlager. Der Betreuer versichert, sie sei ein fröhliches junges Mädchen gewesen, was ihren Suizidversuch noch rätselhafter erscheinen lässt. Dank der Hilfe Raphaels, der mit seinen Schützlingen ausrangiertes Mobiliar bemalt und verkauft, findet Zeiler endlich den Schlüssel zur Lösung des Falls.

Sehenswert ist "Der Wegspuk" nicht zuletzt wegen der wie stets von einer ausgezeichneten Musik (Chris Bremus) untermalten Bildgestaltung. Michael Schneider hat auch bei den letzten vier Episoden Regie geführt und diesmal gemeinsam mit seinem Kameramann Matthias Pötsch für eindrucksvolle Aufnahmen gesorgt. Der Bodensee ist zwar wieder bloß schmückendes Beiwerk, aber Pötsch lässt mit Hilfe des Lichts eine spezielle Atmosphäre entstehen.

Auf besondere Weise gefilmt sind auch die Erinnerungsschübe, von denen sowohl die Anwältin wie auch ihr Mandant mehrfach heimgesucht werden. Finster, Titeldarsteller der Netflix-Serie "Freud", erweist sich zudem als ganz vorzügliche Wahl für diese Rolle, zumal der in der Steiermark aufgewachsene Österreicher den ungewöhnlichen Charakter der Figur durch einen ausgeprägten Dialekt unterstreicht.