TV-Tipp: "Kranke Geschäfte"

TV-Tipp: "Kranke Geschäfte"
28. September 2020, ZDF um 20.15 Uhr 
Es finden sich tatsächlich immer wieder neue düstere Kapitel der vierzigjährigen deutsch-deutschen Geschichte. "Kranke Geschäfte" erzählt von einer Kooperation, die besonders zynisch wirkt: Weil sich in der Bundesrepublik nach dem Contergan-Skandal kaum noch Probanden für freiwillige Medikamententests zur Verfügung stellten, suchten sich die Pharmakonzerne ihre Versuchskaninchen im Osten.

Die Patienten hatten allerdings keine Ahnung, was ihnen blühte, denn bei Tests dieser Art werden immer auch Placebos eingesetzt, um die Wirksamkeit der Medikamente überprüfen zu können. Die Hälfte der Betroffenen hoffte vergeblich auf Heilung; sie spielten Russisches Roulette, ohne es zu ahnen.

Johannes Betz, der unter anderem das Drehbuch zu dem Polit-Thriller "Die Spiegel-Affäre" geschrieben hat, gibt der Geschichte eine zusätzliche Fallhöhe: 1988 wird bei der 14jährigen Kati (Lena Urzendowsky) die Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose diagnostiziert. Weil die junge Frau die Tochter von Oberleutnant Armin Glaser (Florian Stetter) aus dem Ministerium für Staatssicherheit ist, wird sie bevorzugt behandelt. Kati kommt also in den Genuss eines neuen Medikaments, auf das die Neurologin Dr. Sigurd (Corinna Harfouch) große Hoffnungen setzt. Aber während es Bettnachbarin Nikola (Amber Bongard) zunehmend besser geht, verschlechtert sich Katis Zustand zusehends; sie hat offenbar, wie die Ärztin es formuliert, den Schwarzen Peter gezogen. Da der Test als sogenannte Doppelblindstudie durchgeführt wird, hat Sigurd keine Ahnung, welche Patienten das Medikament und welche bloß das Placebo bekommen. Glaser stellt Nachforschungen an und wittert zunächst Hochverrat, weil er angesichts der begehrten Westgeschenke für die Ärzte an Bestechung glaubt. Als er den schmutzigen Geschäften auf die Spur kommt, wird er umgehend kaltgestellt: Die DDR ist dringend auf die Devisen angewiesen, um die maroden Kliniken mit modernen Geräten auszustatten.

Der Schweizer Urs Egger, Regisseur vieler großer Fernsehfilme ("Opernball", "Die Rückkehr des Tanzlehrers", "Gotthard"), hat das auf jahrelangen Recherchen von Produzentin Franziska An der Gassen basierende Drehbuch sehr sachlich und beinahe dokumentarisch umgesetzt. Damit die Empathie des Publikums nicht allein aus dem Schicksal von Kati resultiert, muss der Protagonist eine Läuterung durchlaufen. Nun wird auch klar, warum der im Januar verstorbene zweifache Grimme-Preisträger ("An die Grenze", 2008, und "Der Fall Bruckner", 2015) die Hauptrolle seines letzten Films mit Florian Stetter besetzt hat: Anfangs wirkt Glaser fast zu nett für seinen Job als Stasi-Offizier. Andererseits zeigt der Film auf diese Weise, dass sich sehr wohl ein richtiges Leben im falschen führen lässt, wenn man bloß blind genug an ein System glaubt. Das ändert sich, als Glaser rausfindet, wie skrupellos sich dieses System gegenüber den Patienten verhält. Seine Läuterung offenbart, wie sehr er sich jahrelang selbst belogen hat: Als er der von Harfouch empathisch verkörperten Ärztin vorhält, die Menschenversuche seien Nazi-Methoden, zumal eine frühere Testreihe eine Todesquote von 13 Prozent hatte, amüsiert sich die Frau darüber, dass ausgerechnet ein Stasi-Offizier ihr solch’ einen Vorwurf macht.

Eggers distanzierter und zuweilen fast statischer Stil hat zunächst allerdings zur Folge, dass das Geschehen ebenfalls auf Distanz bleibt. Daran ändert auch das vortrefflich zusammengestellte Ensemble nichts. Gerade die Männer, bei denen die Fäden zusammenlaufen, sind sehr markant besetzt: mit Udo Samel als Chef des Nürnberger Pharmakonzerns und Matthias Matschke als dessen rechter Hand auf der einen sowie Stephan Grossmann als Glasers scheinbar jovialer Vorgesetzter und Jörg Schüttauf als zuständiger Staatssekretär auf der anderen Seite. Wo Politdramen ihr Personal und damit die Welt sonst gern fein säuberlich in Gut und Böse und somit in Schwarz und Weiß aufteilen, bevorzugen Betz und Egger Grautöne. Glaser hat keine Skrupel, die Stasi-Methoden für seine eigenen Interessen zu missbrauchen. Sein Freund und Nachbar Elmar (Alexander Beyer) wiederum lässt sich willig als Spitzel auf den Kollegen ansetzen.

Selbst der Staatssekretär ist dank Schüttauf kein ausgemachter Schurke. Ähnlich wie die Ärztin strebt er das richtige Ziel an; wenn auch auf einem falschen Weg. Davon abgesehen bedauert er, wie sehr die DDR bereit ist, sich gegenüber dem Westen willfährig zu zeigen. Das hindert ihn nicht daran, Glaser, der ihn zur Rede stellt, festnehmen zu lassen. Die einzige Hauptfigur, die sich treu bleibt, ist Katis Mutter. Als ihr Mann in Ungnade fällt, verliert auch sie ihre privilegierte Arbeitsstelle. Felicitas Woll sorgt jedoch in dem ansonsten sehr auf Authentizität bedachten Drama für den einzigen Misston: "Jetzt komm’ mal runter" als Synonym für "Beruhig’ dich mal", eine Eindeutschung des englischen "come down", war in den späten Achtzigern nicht mal im Westen verbreitet.

Tonfall und Stil wandeln sich parallel zu Glasers Läuterung, aber richtig Pep bekommt der Film erst durch den Pop im letzten Akt: Nikola überlässt Kati ihre Eintrittskarte zu einem Ost-Berliner Konzert von Depeche Mode, deren Hits nun auch die Filmmusik (Ina Siefert) beeinflussen. Bis dahin hat Glaser alles, was aus dem Westen kam, abgelehnt, nun fährt er Kati, die durch Nikolas Einfluss längst nicht mehr wie ein Mädchen aus Karl-Marx-Stadt aussieht, in die Hauptstadt. Sein Wandel ist abgeschlossen; kurz drauf findet er sich im Gefängnis wieder, Aug’ in Aug’ mit den Regimekritikern, die er bis vor Kurzem noch selbst verhört hat.