TV-Tipp: "Gundermann"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Gundermann"
23.9., Arte, 20.15 Uhr
Schon seltsam, dass Gerhard Gundermann vor 25 Jahren im Osten fast ein Star und im Westen praktisch unbekannt war. Andreas Dresens Kinoporträt, das schlicht den Namen der Hauptfigur trägt, hat das zum Glück geändert.

Der Film hatte knapp 400.000 Besucher, aber es war vor allem die Berichterstattung, die dem 1998 im Alter von nur 43 Jahren verstorbenen Sänger zu einem gewissen Nachruhm verholfen hat; die zweifache TV-Ausstrahlung in Arte und im "Ersten" wird ebenfalls ihren Teil dazu beitragen. Und dann sind da ja noch all’ die "Lolas". "Gundermann" ist 2019 beim deutschen Filmpreis gleich sechsmal ausgezeichnet worden: Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch und Bester Hauptdarsteller. Alexander Scheer ist in der Tat famos. Der Schauspieler ist ohnehin eine Art Chamäleon, das komplett in seinen Rollen aufgeht, ohne dabei selbst völlig zu verschwinden. Auch als Gundermann gelingt ihm das Kunststück, den Musiker perfekt zu verkörpern und ihn trotzdem zu einer typischen Scheer-Figur zu machen. Am erstaunlichsten ist dabei die musikalische Ebene: Scheer hat alle Lieder selbst gesungen. Seine Stimme ist etwas rauer, aber den Ton des Vorbilds trifft er perfekt.

Dritte wichtigste Person neben Regisseur und Hauptdarsteller ist Laila Stieler, die schon mehrere Drehbücher für preisgekrönte Dresen-Filme geschrieben hat, darunter "Die Polizistin" (Grimme-Preis 2001 für Buch und Regie) und "Wolke 9" (Deutscher Filmpreis 2009 für die Beste Regie). Die Autorin erzählt Gundermanns Leben auf zwei Zeitebenen. Natürlich geht es sowohl in der Vergangenheit (ab 1975) wie auch in der Gegenwart der frühen Neunziger um Musik, aber ebenso sehr um die Liebe; die Kamera von Andreas Höfer, auch er ein langjährige Weggefährte Dresens, ist mindestens genauso in die Österreicherin Anna Unterberger verliebt wie "Gundi" in seine Schulfreundin Conni, die leider mit einem anderen liiert ist. Gundermann ist zwar überzeugter Sozialist, aber ein Querkopf, der in der Partei ständig aneckt, weil er hartnäckig auf Missstände hinweist. Er arbeitet als Baggerführer im Tagebau; der Todesfall eines Kollegen ist eine tragische Bestätigung seiner Warnungen.

Als dramaturgisch sehr geschickt erweist sich die Entscheidung Stielers und Dresens, sich in den episodischen Rückblicken auf die Arbeit, die Musik und Gundermanns Schwärmerei für Conni zu konzentrieren. Der Film zeigt zwar auch, wie er von einem Stasi-Offizier (Axel Prahl) angeworben wird, aber ansonsten wird seine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter größtenteils ausgespart. Dieses Thema dominiert dafür die Gegenwart. In Gundermanns Selbstwahrnehmung war er bloß ein kleiner Fisch, der unwichtige Informationen weitergegeben hat, um unbehelligt seiner musikalischen Leidenschaft nachgehen zu können; seine Täterakte sagt jedoch etwas anderes. Die Gegenwartszenen erzählen davon, wie er mit dem verdrängten Teil der Vergangenheit umgeht. Diese Ebene beginnt mit einem Geständnis gegenüber einem politischen Puppenspieler (Thorsten Merten), der in der DDR Berufsverbot hatte. Später bekennt sich Gundermann auch gegenüber einem Kollegen (Milan Peschel) schuldig, der ihm die Bespitzelung aber gar nicht krumm nimmt: Er wiederum war auf  ihn angesetzt.  

Trotz der Gewissenerforschung gibt es auch immer wieder diese Leichtigkeit, die schon Dresens Erfolgsfilm "Sommer vorm Balkon" ausgezeichnet hat. Das hat viel mit der Alltagspoesie in den traurigschönen Balladen des Sängers zu tun, wobei Dresen das Kunststück gesungen ist, dass "Gundermann" kein reiner Musikfilm geworden ist. Natürlich zeigt er seine Hauptfigur bei diversen Proben mit seiner Band "Seilschaft" und bei Auftritten. Dennoch geht es in erster Linie um den von Scheer als kauzigen, aber liebenswerten Typen verkörperten Menschen und dessen Vorsatz, wenigstens in Würde zu versagen: seine zunächst vergebliche, dann erwiderte Liebe zu Conni und der damit verbundene Verrat an seinem Freund Wenni (Benjamin Kramme); sein gestörtes Verhältnis zum Vater, der vor vielen Jahren den Kontakt abgebrochen hat; seine regelmäßigen Zusammenstöße mit Parteifunktionieren (unter anderem von Bjarne Mädel und Peter Sodann verkörpert), als müsse die Partei als Ersatz für den Vater herhalten. Weil es Gundermann stets wichtig war, nicht ausschließlich von der Musik zu leben, bieten sich viele Gelegenheiten für eindrucksvolle Aufnahmen des majestätischen Tagebauriesen, der sich unbarmherzig in die Landschaft frisst.

Wichtigste weitere Figur in diesen Szenen ist Gundermanns lebenskluge mütterliche Freundin und Kollegin Helga. Eva Weißenborn gibt dieser Rolle eine berührende Tiefe. Sie war als Beste Nebendarstellerin beim Deutschen Filmpreis nominiert, ist aber leer ausgegangen; zum Ausgleich hat sie den Deutschen Schauspielpreis bekommen.