TV-Tipp: "Spreewaldkrimi: Zeit der Wölfe" (ZDF)

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TV-Tipp: "Spreewaldkrimi: Zeit der Wölfe" (ZDF)
27.4., ZDF, 20.15 Uhr
Der große Reiz der konkurrenzlos kunstvoll konzipierten Spreewaldkrimis liegt in dem Spiel, das Thomas Kirchner mit seinem Publikum treibt: Man kann den Bildern nie trauen, weil die Zeitebenen ständig wechseln; auf diese Weise gehört nur scheinbar zusammen, was sich in Wirklichkeit gar nicht zur gleichen Zeit zugetragen hat.

Außerdem ergeben die mittlerweile zwölf Filme eine umfassende Saga. Die einzelnen Teile funktionierten zwar unabhängig voneinander, aber Kirchner nimmt immer wieder Bezug auf frühere Episoden, zumal die Geschichten aufeinander aufbauen. Weil der zum Grübeln neigende und stets amtsmüde wirkende Kriminalrat Krüger (Christian Redl) beim letzten Fall ("Tödliche Heimkehr", 2018) Gnade vor Recht ergehen ließ, zweifelt er nun endgültig an seiner Berufung. Der uniformierte Kollege Fichte (Thorsten Merten) bestärkt ihn in dieser Haltung: "Wenn die Gesetze nicht für alle gelten, dann gelten sie für keinen." Die Handlung wird den Hauptkommissar jedoch vor eine ganz ähnliche Frage stellen, und auch er wird lernen, dass man sich nicht immer an seine Prinzipien halten kann.

Der Film beginnt unangenehm: Ein vermummter Mann will einen anderen mit Hilfe von Wasserfolter dazu zwingen, eine Information preiszugeben. Derweil erwacht Krüger, der sich in einen seit dem letzten Film verwaisten Bauwagen im Wald zurückgezogen hat, Aug’ in Aug’ mit einem Wolf. Das Tier hat mit der eigentlichen Geschichte nur am Rande zu tun und ist im Grunde eine Metapher auf vier Beinen. Weil der Wolf bereits viele Schafe gerissen hat, will ihn ein Jäger (Bernhard Schütz) zur Strecke bringen. Es wird kein Zufall sein, dass die Aussagen des Mannes – Einwanderer verdrängen einheimische Arten – wie rechtspopulistische Parolen klingen. Auch darum geht es in diesem Film: Wir hätten "die Hoheit über unsere Grenzen verloren", wird ein Polizist später klagen.

Krüger, ebenfalls ein einsamer Wolf, verrät den Artgenossen natürlich nicht, und so wirkt auch der Jäger zunächst wie eine zufällige Figur; aber bei Kirchner gibt es keine Zufälle. Deshalb gehören auch die großzügigen Geldgeschenke, mit denen zu Beginn einige gemeinnützige Einrichtungen bedacht werden, zur Geschichte. Die Kunst, sich unmerklich an die jeweiligen Fälle heranzupirschen, ist ein weiteres Qualitätsmerkmal der Drehbücher. Abgesehen vom Folterprolog wirkt "Zeit der Wölfe" zunächst gar nicht wie ein Krimi. Es gibt zwar zwei tödliche Stürze, aber beide Male handelt es sich anscheinend um Unfälle: Ein Mann rast mit seinem Motorrad durch den Wald und freut sich wie jemand, der gerade den Coup seines Lebens abgeschlossen hat; leider ist seine Freude nicht von Dauer. Bald darauf stürzt ein offenbar nicht ausreichend gesicherter Waldarbeiter vom Baum. Später stellt sich raus, dass der Mann unheilbar krank war; sein Tod war womöglich ein als Arbeitsunfall kaschierter Suizid, damit seine Lebensversicherung ausgezahlt wird, doch das will Fichte gar nicht so genau wissen. Weil die Dinge bei Kirchner nie so sind, wie sie scheinen, und außerdem alles mit allem zusammenhängt, ergibt sich das ganze Bild erst gegen Ende.

Geschickt ergänzt der Autor sein Spreewald-Universum von Film zu Film um neue Figuren. Diesmal wird Fichte von einer Kollegin (Alina Stiegler) begleitet. Die junge Polizistin in Ausbildung macht ein Praktikum in Uniform und erweist sich dank ihrer Beobachtungsgabe als versierte Ermittlerin. Der Beruf liegt ihr ohnehin im Blut: Ihr Vater (Sascha Alexander Geršak) ist bei der Bundespolizei. Weitere Mitwirkende sind die Mitglieder einer schwäbischen Rockerbande. Die Gruppe, die sich "Die Wölfe" nennt, will das Zentrum ihrer kriminellen Machenschaften nach Brandenburg verlegen, was Kirchner zu einem "driving gag" nutzt: Wann immer Fichte eine Straße überqueren will, brausen ein paar Motorräder vorbei; und selbstredend ist auch die Gang auf verblüffende Weise in die Abläufe involviert.

Weil die Spreewaldkrimis nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich aus dem Reihenalltag herausragen, haben Produktion und Redaktion die jeweiligen Regisseure mit besonderer Sorgfalt ausgesucht; Kai Wessel, Roland Suso Richter, Thomas Roth, Torsten C. Fischer oder Sherry Hormann gehören zu den besten ihres Fachs. Pia Strietmann hat gerade mal eine Handvoll Filme vorzuweisen und ist nicht annähernd so erfahren wie die anderen, ist aber mit der Tragikomödie "Endlich Witwer" (ZDF) für einen der besten Filme des letzten Jahres verantwortlich. 2020 hat sie mit dem im Januar ausgestrahlten Hochspannungs-Thriller "Unklare Lage" (ein Sonntagskrimi aus München) ebenfalls bereits ein Zeichen gesetzt. "Zeit der Wölfe" ist im Vergleich zum "Tatort" ein völlig anderer und fast schon unspektakulärer Film, aber dafür trifft die Regisseurin den ganz speziellen Tonfall der Reihe sehr genau, was nicht zuletzt zwei tanzenden Hasen zu verdanken ist. Das klingt lustiger, als es ist: Krüger klagt, er habe seine Imagination verloren, jene Fähigkeit also, die ihn zu einem besonderen Kriminalisten macht. Frühere Filme der Reihe haben ihn gern dabei gezeigt, wie er durch Rückblenden spazierte. Stattdessen sieht er nun mehrfach Männer mit Hasenköpfen, die anscheinend miteinander tanzen; erst spät wird ihm klar, dass diese Visionen der Schlüssel zur Lösung sind. Das erste Erlebnis dieser Art gestaltet Strietmann wie einen Moment aus einem Horrorfilm; es war vermutlich ohnehin nicht leicht, die entsprechenden Szenen nicht lächerlich wirken zu lassen. Die Musik sorgt ohnehin dafür, dass "Zeit der Wölfe" über weite Strecken ein melancholischer Film ist.