TV-Tipp: "Tatort: Die Guten und die Bösen" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Die Guten und die Bösen" (ARD)
19.4., ARD, 20.15 Uhr
Die Krimi-Ebene dieses "Tatort"-Beitrags aus Frankfurt ist rasch erzählt: Vor sieben Jahren ist die Frau von Hauptkommissar Matzerath (Peter Lohmeyer) entführt und fünf Tage lang immer wieder vergewaltigt worden. Nun hat der Polizist den Täter endlich aufgespürt. Weil er ihm die Tat jedoch nicht nachweisen kann, wird er zum Richter und zum Henker; anschließend stellt er sich seinen Kollegen. Als die Handlung beginnt, ist all’ das jedoch längst passiert.

Natürlich hätte Drehbuchautor David Ungureit auch die Geschichte dieses Falls erzählen können: die furchtbaren Qualen von Helen Matzerath (Dina Hellwig), die in einer einsamen Waldhütte mit verbundenen Augen ihrem Peiniger ausgeliefert war; die zunehmend zermürbende Suche ihres Mannes nach dem Täter; und schließlich die Trennung des Ehepaars, weil die Frau die Vergangenheit hinter sich lassen und einen Neuanfang wollte. All’ das kommt zwar in den Vernehmungen Matzeraths durch Janeke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) zur Sprache, aber der Film konzentriert sich auf einen ganz anderen Aspekt: Das Ermittlerduo sucht verzweifelt nach mildernden Umständen für den Kollegen, doch der will davon nichts wissen. Er glaubt an das System: Wer sich nicht an die Gesetze hält, muss bestraft werden. Dass die Polizei den Vergewaltiger nicht gefasst habe, sei ein Fehler im System gewesen. Ein derartiger Fehler dürfe sich nicht wiederholen, nur weil er Polizist sei.

Die kriminalphilosophischen Erörterungen sind zwar interessant, aber ohne weitere Handlungsebenen wäre der Film zwangsläufig sehr dialoglastig und außerdem ein Kammerspiel geworden. Also ergänzt Ungureit die Geschichte um verschiedene äußere Einflüsse, die zur Folge haben, dass Janeke und Brix nicht zur Ruhe kommen: Das Frankfurter Polizeipräsidium wird renoviert. Überall tropft Wasser von der Decke, die alten Büros sind geräumt, aber die Ausweichcontainer sind noch nicht aufgestellt, weshalb die Vernehmungen Matzeraths auf dem Flur stattfinden müssen. Außerdem findet parallel ein Workshop statt, in dessen Verlauf die Beamten unter anderem über ihre Werte als Polizisten sprechen sollen, und natürlich hat der aktuelle Fall einen gewissen Einfluss auf die Aussagen. Dass Janeke und Brix darüber sinnieren, was genau sie zu den Guten mache, hebt den Krimi auf eine Meta-Ebene, denn normalerweise lassen Krimis keinen Zweifel daran, wer die Guten und wer die Bösen sind; Matzerath, ein untadeliger Polizist, gehörte bislang ohne Frage zu den Guten.

Eine weitere Ebene scheint zunächst mit dem Rest des Films gar nichts zu tun haben: Irgendwo in den Untiefen des Gebäudes hat sich eine ältere Frau ein anheimelndes Refugium geschaffen, wo sie die Akten ungelöster Fälle studiert. Die Frau heißt Elsa Bronski und ist eine pensionierte Kommissarin, sie hat damals im Fall Helen Matzerath ermittelt. Verkörpert wird sie von der vor fast genau einem Jahr verstorbenen Hannelore Elsner, die auch mal eine "Tatort"-Kommissarin gespielt hat, als ihre Serienfigur Lea Sommer 1997 zweimal am Sonntagabend ermitteln durfte. "Die Guten und die Bösen" ist einer ihrer letzten Filme; er ist ihr gewidmet. Die Geschichte würde zwar auch ohne diese Figur funktionieren, aber Elsa Bronski fügt sich sehr gut in den Reigen der Figuren ein, die sich allesamt zumindest vorübergehend neben der Spur bewegen. Der einzige, der eine klare Linie verfolgt, ist ausgerechnet der Mörder.

Regie führte Petra K. Wagner, die eine gewisse Tradition mit dem Hessischen Rundfunk verbindet. Die Qualität dieser Zusammenarbeit ist durchaus wechselhaft. Ihr letzter Film, "Frankfurt, Dezember ’17" (2018), war ein im Ansatz interessantes, in der Umsetzung aber verunglücktes Drama über ein Ereignis, das das Leben von drei Frauen verändert. Eher enttäuschend war auch das übersinnliche Drama "Lisas Fluch" (2011). Der rätselhafte romantische Thriller "Sprinter" (2012), das vorzüglich gespielte Ehedrama "Nie mehr wie immer" (2014) oder die Mutter-Blues-Geschichte "Viel zu nah" (2017) waren dagegen ausgesprochen sehenswert. Ihr "Tatort"-Debüt gehört nicht zuletzt dank der stellenweise beinahe expressionistisch anmutenden Bildgestaltung (Jan Velten) eher in die zweite Kategorie. Besonders eindrucksvoll ist eine ausführliche Kamerafahrt kurz vor Schluss, die Janeke und Brix bei einer Wanderung durch die Baustelle begleitet.

Davon abgesehen gelingt es der Regisseurin immer wieder, Ungureits Ideen durch ihre Umsetzung eine Art "Twin Peaks"-Atmosphäre zu verleihen. Mehrfach rollt zum Beispiel ein von einem Schäferhund gejagter roter Ball durch die leeren Gänge. Diesen Ball verwendet die Seminarleiterin (Dennenesch Zoudé), um den Teilnehmern das Wort zu erteilen; Brix lässt sowohl den Ball wie auch die Frage kühl an sich abprallen. Später irrt die Frau, die sich schon allein durch ihre bunte Kleidung deutlich von allen anderen handelnden Personen abhebt, durchs Labyrinth des Gebäudes, schließt sich irgendwo ein und erleidet prompt eine kleine Panikattacke. Die Frage, warum Ungureit und Wagner die Figur auf diese Weise demontieren, bleibt allerdings unbeantwortet. Viel zu lang ist auch eine Szene zu Beginn, als sich Janeke, Brix und dessen Freundin und Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) über die Reste einer Betriebsfeier hermachen und mit Hilfe einer Karaoke-Maschine nicht schön, aber laut allerlei Liedgut zum Besten geben. In Erinnerung bleibt dagegen Matzeraths Antwort auf die Frage der Seminarleiterin, was für ihn Polizeiarbeit bedeute: "Wir beschützen die Guten und sorgen dafür, dass die Bösen bestraft werden. Ohne Ausnahme."