TV-Tipp: "München Mord: Leben und Sterben in Schwabing" (ZDFneo)

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TV-Tipp: "München Mord: Leben und Sterben in Schwabing" (ZDFneo)
18.2., ZDFneo, 20.15 Uhr
Man muss Schwabing nicht lieben, um diesen Film genießen zu können; man muss es nicht mal kennen. Aber wer sich noch an das wegen seiner Lässigkeit verklärte Schwabing von früher erinnert, und sei es nur vom Hörensagen, der wird die achte Episode aus der ZDF-Reihe "München Mord" als besonderes Vergnügen empfinden.

Dafür bürgt schon allein der Name Friedrich Ani. Der Schriftsteller und Grimme-Preisträger ("Kommissar Süden und der Luftgitarrist") hat quasi ein Abonnement auf den Deutschen Krimi Preis. Obwohl seine Romane liebenswert-skurrile Figuren und noch mehr Atmosphäre zu bieten haben, war den stets sehenswerten Verfilmungen überraschend wenig Erfolg gegönnt. Bei Anis Originaldrehbüchern ist das zum Glück anders. "Leben und Sterben in Schwabing" hat er - wie schon die früheren "München Mord"-Folgen "Wo bist Du, Feigling?" sowie "Auf der Straße, nachts, allein" - gemeinsam mit Ina Jung geschrieben. Schöpfer der Reihe sind zwar Alexander Adolph und Eva Wehrum, aber Ani ist als Autor regelrecht prädestiniert für diese Münchner G’schichten. Das von Alexander Held, Bernadette Heerwagen und Marcus Mittermeier unnachahmlich verkörperte Ermittler-Trio wirkt ohnehin wie ein typisches Ani-Ensemble.

Dass an Kriminalkommissarin Angelika Flierl ein musikalisches Talent verloren gegangen ist, passt dabei wunderbar ins Gesamtbild: Die Handlung beginnt mit einem Auftritt der Polizistin und ihrer Ukulele in einer verrauchten Kneipe. Sie singt "Heroes" von David Bowie; schon allein das Licht (Kamera: Ralf K. Dobrick) ist Nostalgie pur. Dann kommt der Profi auf die Bühne: Michael Fitz ist nicht nur Ur-Münchner, sondern auch ein Vollblutmusiker. Entsprechend cool und rockig verkörpert er den Türken-Rudi, der so heißt, weil er in der Türkenstraße aufgewachsen ist. Wenn der Rudi wie ein düsterer Western-Held mit schwarzem Hut und ebensolchem Mantel selbstbewusst durch die Straßen marschiert, ist das ein unmissverständliches Signal: Was auch immer in diesem Viertel passiert, Rudi weiß Bescheid; im Zweifelsfall ist er ohnehin der Drahtzieher. Aber gilt das auch für den Mord an Armin Riester (Leo Reisinger)? Der Makler war der meistgehasste Mann in Schwabing, denn er stand wie kein anderer für die Gentrifizierung: alte Häuser kaufen, die Mieter rausekeln, die Domizile luxussanieren und dann teuer vermieten. Der Leichnam wird zur Schau gestellt, als wäre er an einen Marterpfahl gefesselt, und das gesamte Viertel empfindet klammheimliche Freude.

Eigentlich soll sich das Trio aus dem Keller des Polizeipräsidiums ja um offene Fälle kümmern, aber Schaller, selbst ein Kind Schwabings, lässt sich die Ermittlungen sehr zum Unwillen von Kriminaloberrat Zangel (Christoph Süß) nicht nehmen, und so wird die Suche nach dem Mörder gleichzeitig auch zur Zeitreise: Ani und Jung erfreuen mit Anekdoten aus der vermeintlich guten alten Zeit sowie einigen Originalen, in denen Kenner der Szene womöglich das eine oder andere Vorbild erahnen werden. Schaller war als junger Bursche in Tischtenniskreisen für seine knallharte Rückhand bekannt, und weil der Hauptkommissar stets gern besondere Momente kreiert, um seinen Eingebungen die Tür zu öffnen, holt er auf einem verstaubten Speicher die alte Tischtennisplatte hervor. Der Film nutzt seine Alleingänge zu einigen hübschen Parallelmontagen. Eine dieser Szenen endet mit einer Einstellung, in der die Kamera ein Stück zurück weicht und auf diese Weise Dutzende Tischtennisbälle auf dem Boden offenbart. Noch schöner sind die Begegnungen mit den alteingesessenen Einheimischen, die allerdings ebenso wie die alten Zeiten keineswegs verklärt werden. Türken-Rudi hat ja Recht, wenn er sagt, "Times are changing": Die Zeiten ändern sich.

Bei Sascha Bigler ist diese Geschichte in den besten Händen. Der Regisseur hat sich spätestens mit der hintergründig in Szene gesetzten Situationskomik der letzten "München Mord"-Episode ("Die ganze Stadt ein Depp") für weitere Aufträge qualifiziert. Zuvor hat der Sohn von Christiane Hörbiger unter anderem die beiden "Kommissar Pascha"-Filme (2017, ARD) gedreht. Der auf den Romanen von Su Turhan basierenden Reihe war zwar das gleiche traurige Schicksal beschieden wie "Kommissar Süden" (ZDF) nach Friedrich Ani, aber immerhin konnte Bigler, zuvor bereits positiv durch einen ORF-"Tatort" ("Unvergessen", 2013) und sein Debüt "Meine Schwester" (2013, mit seiner Mutter) nachdrücklich zeigen, dass er auch das Genre der Münchener Krimikomödie beherrscht. "Leben und Sterben in Schwabing" beeindruckt nicht nur durch wunderbare Dialoge, sondern auch durch eine lässig-beiläufige Inszenierung. Auf diese Weise werden die harmlosen, aber sympathischen Scherze am Rande noch wirkungsvoller: Weil das Trio von der Polizei die Wohnung des Opfers ohne jede Schutzkleidung betreten hat, erstarren alle drei zu Salzsäulen, bis die Spurensicherung kommt. Sehr viel später, als "Fräulein Flierl" im Angesicht einer weiteren Leiche niedergeschlagen wird, stellt sich die vorübergehend verwirrte Kommissarin als "Ukulelika" vor. Zum augenzwinkernden Spiel mit dem Publikum gehört auch ein bewusster Verstoß gegen ein ungeschriebenes Filmgesetz: Dass Bigler nicht zeigt, warum eine Frau beim frühmorgendlichen Hundespaziergang angesichts eines unerwarteten Anblicks schockiert stehenbleibt, hat natürlich seinen Grund und ist ein weiterer Beleg dafür, mit wie viel Liebe zum Detail "Leben und Sterben in Schwabing" konzipiert ist. Die Schlussszene mit einem Duett von Angelika Flierl und der Münchner Ikone Nick Woodland ist ein würdiger Abschluss des Films. Im Anschluss zeigt Neo den neunten Film der Reihe, aber "Die Unterirdischen" (21.45 Uhr) erreicht trotz eines Drehbuchs von Ani nicht ganz die Qualität der letzten Episoden.