TV-Tipp: "Tatort: Tschill out" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Tschill out" (ARD)
5.1., ARD, 20.15 Uhr
Gemessen an den bisherigen Testosteron-Auftritten Til Schweigers im "Tatort"-Rahmen wird "Tschill Out" seinem Titelwortspiel vollkommen gerecht: "Chill mal", sagen Kinder gern, wenn sich ihre Eltern allzu sehr aufregen. Auch Nick Tschiller muss nach seinem aufregenden Kinoabenteuer "Off Duty" (2016) erst mal eine Runde "chillen".

Damals war die große Frage, wie es mit dem kernigen Cop aus Hamburg weitergehen würde; und ob überhaupt, schließlich waren die TV-Quoten der für viele "Tatort"-Freunde offenbar allzu action-lastigen Filme dramatisch gesunken. Der Kinofilm hatte ohnehin nur 280.000 Zuschauer; für die Maßstäbe des erfolgsverwöhnten Stars viel zu wenig.

Der NDR hat nun das einzig Richtige getan und den Helden gewissermaßen neu erfunden. Der Unterhaltungs-Chef des Senders spricht gar von einem "Missverständnis": Schweiger hat zwar auch durchaus sehenswerte Actionfilme gedreht (etwa "Schutzengel", 2012), aber ein mehrfaches Millionenpublikum hatte er nur mit Komödien wie "Keinohrhasen", "Kokowääh" oder "Honig im Kopf". Weil der Star bei der Frage nach seinem Lieblings-"Tatort" stets den "Polizeiruf" aus Rostock genannt hat, oblag die Regie beim Neustart nicht mehr Christian Alvart, der die bisherigen fünf Filme gedreht hat, sondern Eoin Moore. Der gebürtige Ire hat für den NDR auch den "Polizeiruf" mit Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau (ab 2010) kreiert. Die Filme werden von Iris Kiefer produziert, deren Firma Filmpool Fiction nun auch den "Tatort" aus Hamburg übernommen hat.

Schon der Einstieg zu "Tschill Out" verdeutlicht den Wandel: Der Krimi beginnt wie eine Komödie. Superbulle Tschiller ist beurlaubt, muss zudem den Tod seiner Frau verkraften und wartet auf sein Disziplinarverfahren. Bis dahin kümmert er sich auf der Hamburger Insel Neuwerk um schwererziehbare Jugendliche, was zu einigen komischen Situationen führt. Auch wenn er für den Geschmack von Sozialarbeiterin Patti (Laura Tonke) mitunter mehr Empathie zeigen könnte: Der Kommissar spricht zumindest eine Sprache, die die Kids verstehen. Derweil ist sein Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) gemeinsam mit der neuen jungen Kollegin Robin (Zoe Moore) einem Drogenhandel im Darknet auf der Spur. Kronzeugen sind die Brüder Tom und Eddie Nix, die als Punkband "Nix Dagegen" in linken Kreisen Kultstatus genießen. Als Gümer die beiden jungen Männer in ein Versteck bringen will, wird Eddie während einer Pinkelpause erschossen; offenbar haben die Gangster einen Maulwurf bei der Polizei. Also versteckt Gümer seinen Zeugen (Ben Münchow) bei dem einzigen Menschen, dem er rückhaltlos vertrauen kann; aber selbstredend findet das Böse auch den Weg nach Neuwerk.

Im Vergleich zu Alvarts Filmen, die stets Kino fürs Fernsehen waren und entsprechend aufwändig aufsahen, ist "Tschill Out" ein normaler TV-Krimi. Der Reiz der Geschichte (Buch: Moore und Ehefrau Anika Wangard) liegt nicht zuletzt in der Tatsache, dass der Held, der bislang in jedem seiner Abenteuer öfter geschossen hat als andere "Tatort"-Kommissare in ihrer gesamten TV-Karriere, diesmal komplett ohne Pistole auskommen muss. Für Action und Spannung sind zunächst die Kollegen zuständig. Zoe Moore, gewissermaßen der Ersatz für die nur noch in einigen Videogesprächen mitwirkende Schweiger-Tochter Luna, ist die Tochter des Regisseurs, aber längst aus dem Schatten ihres Vaters getreten. Ihre Rolle im "Tatort" ist auch deshalb reizvoll, weil Gümer sie anfangs für den Maulwurf hält. Später darf die junge Polizistin über sich hinauswachsen; sie hat maßgeblichen Anteil daran, dass der Killer, der Eddie auf dem Gewissen hat und auch Tom ermorden will, zur Strecke gebracht wird. Natürlich ist die Gefahr trotzdem noch nicht gebannt, zumal Gümer rausfindet, dass es keineswegs um Drogen geht; und Tom muss feststellen, dass sein geliebter Bruder an einem der abscheulichsten Verbrechen beteiligt war, zu dem Menschen fähig sind.

Es ist nicht zuletzt die mehrfache Diskrepanz, von der "Tschill Out" lebt, und das bezieht sich nicht nur auf den Kontrast zwischen den in den früheren Filmen oft überbordenden Actionszenen und der entschleunigten Beschaulichkeit auf der Insel. Bislang war "Tatort" mit Tschiller gleichbedeutend mit Großstadtkriminalität. Dank der Bildgestaltung des schottischen Kameramanns Michael McDonough (Moores Schwager) wirkt nun die Natur auf Neuwerk wie das wahre Leben, während die urbanen Szenen vergleichsweise künstlich anmuten. Dazu passen auch die neuen Seiten, die Tschiller zeigen darf. Weil er sich den Schuld am Tod seiner Frau gibt, kommt es nicht zur Romanze mit Patti, die ihm wiederum eine Unfähigkeit zur Trauer attestiert und ihm vorhält, er sei regelrecht süchtig danach, den Supercop zu spielen. Dazu bekommt er zwar am Ende auch diesmal wieder Gelegenheit, aber dennoch zeigt sich spätestens beim Gegner der offensichtlichste Unterschied zu den früheren Filmen: Damals traten Tschiller und Gümer gegen die organisierte Clan-Kriminalität an, es gab reihenweise Leichen und außerdem Erzfeinde, die immer wieder aufstanden. Diesmal handelt es sich um eine völlig andere Art von Verbrechen, bei dem der Feind nicht auf Anhieb zu identifizieren ist. Die Geschichte endet erneut mit der Frage, ob Tschiller dem Wunsch seiner Tochter folgt und den Dienst quittiert. Falls er weitermacht, sollte das dringend auch für die junge Kollegin gelten, weil die clevere Robin die perfekte Ergänzung zu den beiden Macho-Polizisten ist.