Fall Högel: Gericht zweifelt Anklage gegen Vorgesetzte an

Fall Högel: Gericht zweifelt Anklage gegen Vorgesetzte an
Erste rechtliche Bewertung stellt Totschlag durch Unterlassen durch frühere Chefs infrage
Die nächsten Verfahren im Zusammenhang mit dem Patientenmörder Niels Högel zeichnen sich ab. Möglich ist jedoch, dass einige Prozesse gar nicht eröffnet werden.

Oldenburg (epd). Ob sich fünf Vorgesetzte des 85-fachen Patientenmörders Niels Högel wegen Totschlags durch Unterlassen vor Gericht verantworten müssen, bleibt weiter unklar. Nach einer ersten rechtlichen Bewertung des Oldenburger Landgerichts werde die Anklage allenfalls teilweise zugelassen, teilte ein Sprecher des Gerichts am Freitag mit. Die Staatsanwaltschaft wirft den Vorgesetzen vor, Högel trotz eines Verdachts nicht gestoppt zu haben, weil sie um den Ruf ihrer Abteilung und ihres Klinikums besorgt waren.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den früheren Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg, die damaligen Chefärzte der kardiologischen Intensivstation und der Anästhesiestation sowie den Pflegedienstleiter der Intensivstation und die Pflegedirektorin. Der Gerichtssprecher unterstrich, dass noch nicht über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung entschieden worden sei. Das Verfahren befinde sich in einem Zwischenstadium.

Der Chefarzt der Oldenburger Anästhesie müsse sich möglicherweise gar nicht vor Gericht verantworten, sagte der Sprecher. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, dass er für die Opfer verantwortlich ist, die Högel nach seinem Wechsel ins Delmenhorster Krankenhaus getötet hat. Der Mediziner hatte mit Högel über eine Kündigung gesprochen und ihm gleichzeitig ein gutes Zeugnis in Aussicht gestellt. Ob er oder jemand anderes das Zeugnis letztlich verfasst hat, lasse sich nicht mehr zurückverfolgen. Eine Schutzpflicht habe der Arzt demnach lediglich für die Oldenburger Patienten gehabt, nicht aber für die Opfer in Delmenhorst.

Problematisch sei, dass Högels ehemalige Mitarbeiter und Vorgesetzte beschuldigt werden, etwas nicht getan zu haben: Sie hätten damals trotz eines Verdachts auf eine Anzeige verzichtet. Wegen einer Untätigkeit könne aber nur derjenige bestraft werden, dessen Aufgabe es war, einen Schaden zu verhindern. Dies sei bei den Angeschuldigten nicht der Fall, erläuterte der Gerichtssprecher.

Auch bei den übrigen Angeschuldigten gehe das Gericht vorläufig allenfalls von einer "Beihilfehandlung" aus. Es sei nicht nachzuweisen, dass sie weitere Tötungen durch Högel "positiv oder auch nur gleichgültig" zur Kenntnis genommen hätten. Ebenso wenig hätten sie wissen können, "wann und wem gegenüber Niels H. auf welche Weise aktiv werde".

Högel wurde am 6. Juni 2019 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Überzeugung des Oldenburger Landgerichts hat er aus Geltungssucht 85 Menschen in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst mit Medikamenten vergiftet und anschließend vergeblich versucht, sie zu reanimieren. Gegen den Schuldspruch legten Högel und ein Angehöriger, der den Prozess als Nebenkläger verfolgte, Revision ein. (Az.: 5 Ks 800 Js 54254/17 (1/18))