Klimapolitik – die Religion der Zukunft?

Greta Thunberg beruft sich nicht auf Religion, sondern auf die Wissenschaft.
© Robin Loznak/ZUMA Wire/dpa
Greta Thunberg werden von ihren Anhänger und Sympathisanten viel Rollen angedichtet: Als moderne Prophetin oder Jeanne d’Arc, ihre Reden als Kanzelrede oder Luthers Auftritt auf dem Reichstag zu Worms.
Klimapolitik – die Religion der Zukunft?
FridaysforFuture, Klimawandel und Klimaschutz - diese Themen sind gerade in aller Munde. Der Theologe Ulrich Körtner warnt davor, den biblischen Schöpfungsglauben mit einem Weltrettungprogramm zu verwechseln, der allein auf den Schultern der Menschen ruht.

"Der Geist der Zeit oder Zukunft", notierte Ludwig Feuerbach 1842/43, "ist der des Realismus. Die neue Religion, die Religion der Zukunft ist die Politik." Seine Prophezeiung scheint sich in den gegenwärtigen Debatten und politischen Auseinandersetzungen um den Klimawandel zu erfüllen. Gegenwärtig wird viel darüber geschrieben und gestritten, ob die neue Ökologiebewegung zum Schutz des Klimas eine Form von Ersatzreligion darstellt.

Autor:in
Ulrich Körtner
Ulrich Körtner

Ulrich Körtner, geb. 1957, lehrt als Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Er ist Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie sowie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

Auch die Kirchen haben sich dem Klimaschutz verschrieben. Der biblische Schöpfungsglaube ist aber nicht mit einem Weltrettungsprogramm zu verwechseln, das allein auf den Schultern der Menschen ruht. Der Glaube an Gottes fortlaufendes Schöpfungshandeln und die Erhaltung der Welt durch ihn gerät zunehmend aus dem Blick. Auch in kirchlichen Appellen zur Bewahrung der Schöpfung wirkt der biblische Gott oft nur noch als Motivator für menschlichen Einsatz zum Schutz der Natur, gewissermaßen als religiöses Add-on, auf das man notfalls verzichten kann.

Der Fortbestand der Kirchen war für Feuerbach übrigens kein Zeichen von verbliebenem echtem Glauben. Die Gläubigen sprächen zwar weiter vom Segen Gottes, doch suchten sie echte Hilfe nur beim Menschen. Daher sei der Segen Gottes "nur ein blauer Dunst von Religion, in dem der gläubige Unglaube seinen praktischen Atheismus verhüllt".

Apokalyptik und Wissenschaftsgläubigkeit

Dietrich Bonhoeffer, der den Einsatz für den Bestand der Welt und eine bessere Zukunft solange für geboten hielt, wie der Jüngste Tag noch nicht gekommen sei, lebte in dem Glauben, dass Gott auf verantwortliche Taten des Menschen nicht nur wartet, sondern auch antwortet. Ein Glaube, der nicht mehr mit dem Wirken Gottes in der Welt und in der Geschichte rechnet, ist allerdings ein praktischer Atheismus, wie Feuerbach sagt.

Christlicher Glaube ist Mut zum fraglichen Sein, der selbst am Zerbrechen einer heilsgeschichtlich-utopischen Perspektive nicht irre wird. In seiner Daseinshaltung ähnelt er weniger Prometheus als Sisyphos, der sich bei Albert Camus dem Absurden stellt und gegen es revoltiert. Ich meine, im Zeichen globaler Gefahren sei Camus als Gesprächspartner der Theologie wiederzuentdecken.

Man kann das Ausmaß des Klimawandels und seine von Menschen zu verantwortenden Faktoren durchaus für eine ernstzunehmende Gefahr halten, ohne deshalb unbesehen apokalyptische Narrative zu bemühen, wie dies bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren geschehen ist. Schon damals stellte der Literaturwissenschaftler Klaus Vondung zutreffend fest: "Die Bedrohung unserer Lebenswelt ist eine Sache, eine andere die Angst vor dem Weltuntergang, und noch eine andere die Art und Weise, in der sich die Angst äußert, in der man über sie redet und sie zu bewältigen sucht."

Greta Thunberg wahlweise als humorlose Prophetin eines neuen Klimagottes oder als moderne Jeanne d’Arc zu etikettieren oder sie, wenn einem, wie Johannes Schneider in der Zeit, Anleihen in der griechischen Mythologie lieber sind, mit dem unverwundbaren Prometheus zu vergleichen, mag nicht ganz aus der Luft gegriffen sein. Sie selbst beruft sich freilich nicht auf Religion, sondern auf die Wissenschaft.

Martin Luther sollte auf dem Reichstag in Worms nach dem Willen der Kirche und auch des Kaisers seine Lehren widerrufen. Doch die Fahrt nach Worms gleicht eher einer Triumphfahrt, aller Orten wird Luther mit Begeisterung empfangen.

Dennoch verehren sie manche ihrer Anhänger und Sympathisanten als moderne Prophetin, zum Beispiel die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, die Thunberg in einer Kanzelrede mit dem alttestamentlichen Propheten Amos verglichen hat. Der Würzburger Bischof Franz Jung zog eine Parallele zwischen Greta Thunberg und David im Kampf gegen Goliath. Die Zeit fühlte sich durch Thunbergs Wutrede beim UN-Klima-Gipfel in New York unpassenderweise an Luthers Auftritt auf dem Reichstag zu Worms erinnert, und der Berliner Erzbischof Heiner Koch verstieg sich gar zum Vergleich der Freitagsdemos für Klimaschutz mit Jesu Einzug in Jerusalem. Die junge Schwedin, wie schon häufig geschehen, bloß wegen ihrer Zöpfe stattdessen als neue Pippi Langstrumpf zu titulieren, ist allerdings platt. Ihre Persönlichkeit und Wirkung wird dadurch erst recht nicht schlüssig erklärt.

Die positiv oder negativ gemeinte Gleichsetzung Thunbergs mit einer modernen Prophetin ist hingegen zu oberflächlich, muss man doch religionssoziologisch zwischen dem Typus des Heiligen und dem des Charismatikers unterscheiden, worauf der Soziologe Hans Joas hingewiesen hat. Inwiefern man im vorliegenden Fall dennoch von quasireligiöser Verehrung und von der Klimaschutzbewegung als moderner Religion sprechen kann, ist jedenfalls eine weit komplexere Frage als manche Beobachter meinen. Radikalität und kompromissloser Rigorismus, der religiöse Züge trägt, zeichnen allerdings Teile der Klimaschutzbewegung aus.

Engagement und Realismus

An der Bewegung Fridays for Future fällt wiederum ihre Wissenschaftsgläubigkeit auf. Nicht, dass ich die Seriosität der Klimaforschung und ihrer verschiedenen Szenarien grundsätzlich in Abrede stellen möchte, aber die ihr zugebilligte Rolle als Letztinstanz in politischen Fragen räumt ihr eine quasireligiöse Stellung ein, die an den Positivismus des 19. Jahrhunderts, aber auch an den Marxismus-Leninismus erinnert, der doch ebenfalls der Überzeugung war, auf streng wissenschaftlicher Basis zu agieren, und seine revolutionäres Programm für alternativlos hielt. Demokratiepolitisch und sozialpolitisch kann solche Wissenschaftsgläubigkeit, gepaart mit einem moralischen Rigorismus, Gefahren für eine freiheitliche Gesellschaft und ihren sozialen Zusammenhalt heraufbeschwören, weil die Kosten, die für rigorose umweltpolitische Maßnahmen zu zahlen sind, in der Gesellschaft möglicherweise sehr unterschiedlich verteilt werden.

Der Einsatz für eine konsequente Klimapolitik ist nötig und sinnvoll. Die hehren Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens werden vermutlich dennoch nicht erreicht werden. Das Wachstum der Weltbevölkerung und ihr steigender Energiehunger werden die sich hoffentlich einstellenden Erfolge bei Klimaschutz wieder aufzehren. Wer das Wohl künftiger Generationen im Blick hat, muss sich auch dieser Realität stellen. Es bleibt eine Gratwanderung, einerseits zu  versuchen, den Klimawandel einzubremsen und andererseits Maßnahmen zu ergreifen, wie wir mit ihm einigermaßen zurechtkommen können.