TV-Tipp: "Hanne" (ARD)

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TV-Tipp: "Hanne" (ARD)
18.9., ARD, 20.15 Uhr
Dieser Film ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich, und das nicht nur, weil Dominik Graf, der Regisseur mit den meisten Grimme-Preisen, für anspruchsvolle Krimis steht.

Das Drama "Hanne", nach einem Drehbuch von Beate Langmaack entstanden, ist das verfilmte Tagebuch eines Wochenendes und schildert mehrere Begegnungen; die einen sind flüchtig, die anderen ziemlich intensiv. Alle dienen letztlich dem gleichen Zweck: der Ablenkung. Im Grunde entspricht die Handlung der Chronik eines angekündigten Todes, und insofern trägt der Film tatsächlich in gewisser Weise Züge eines Krimis; allerdings nur im Hintergrund.

Graf und Langmaack (auch sie mehrfache Grimme-Preisträgerin) haben die Geschichte in zwölf Kapitel unterteilt, die alle einen eigenen Titel haben und von Graf selbst sowie von Hauptdarstellerin Iris Berben aus dem Off angekündigt werden. Schon die erste Überschrift, "Verabschiedet werden", deutet die Doppelbödigkeit der Handlung an. Der Titel bezieht sich auf den letzten Arbeitstag von Hanne Dührsen (Berben), die in einem großen Unternehmen viele Jahre lang die rechte Hand des Chefs war und nun ihren Ausstand gibt. Mitten in die Vorbereitungen platzt die Nachricht, dass der Chef tödlich verunglückt ist. Hanne bewahrt die Fassung, hält die ohnehin eigenhändig entworfene Abschiedsrede kurzerhand selbst und findet nicht mal auf dem Klo Zeit zum Trauern, weil eine junge Mitarbeiterin in Tränen aufgelöst ist; später stellt sich raus, dass die Kollegin den Trost der Älteren schmählich genutzt hat, um ihr das Portemonnaie zu klauen.

Die Einführung soll verdeutlichen, dass sich Hanne so schnell nicht aus der Bahn werfen lässt; und doch erlebt sie kurz darauf einen Moment, der ihr den Boden unter den Füßen wegzieht. Es ist Freitagnachmittag, sie hat einen Kliniktermin, um sich die Krampfadern entfernen zu lassen, aber der Arzt bittet sie um ein Gespräch, denn ihm sind in ihrem Blutbild "Auffälligkeiten aufgefallen": Es besteht Verdacht auf Blutkrebs; Näheres weiß er aber erst am Montag. Bis dahin empfiehlt er der Patientin, sich abzulenken, und bittet sie noch, nicht auf eigene Faust im Internet zu recherchieren. Natürlich ist das quasi das erste, was Hanne tut, und die Erkenntnis ist niederschmetternd: Ist die Krankheit erkannt, bleiben den meisten Betroffenen bloß noch fünf Monate. Hanne wollte ihren Ruhestand als lange Ferien betrachten; jetzt ist sie womöglich eine Tote auf Urlaub.

Eine weitere Drehbuchidee sorgt dafür, dass sich die Titelfigur nicht in ihren eigenen vier Wänden vergraben kann: Hanne hat übers Wochenende die Maler in der Wohnung und muss in ein Hotel ausweichen. Auf diese Weise kommt es zu den diversen Begegnungen: Beim abendlichen Besuch einer Pizzeria fällt ihr eine Frau (Petra Kleinert) auf, die herzlich und lauthals über die nicht besonders lustigen Witze ihres deutlich älteren Mannes (Jörg Gudzuhn) lacht. Die beiden Frauen kommen ins Gespräch, entdecken große Sympathien füreinander und verbringen einen feuchtfröhlichen Abend; die Ablenkung für Tag eins ist schon mal geglückt. Am nächsten Morgen kontaktiert Hanne aus einer Laune heraus eine Jugendliebe aus Studienzeiten. Heiner (Herbert Knaup) verwechselt sie zwar zunächst mit einer Kommilitonin, aber es wird trotzdem noch ein schöner Samstag mit gemeinsam verbrachter Nacht. Am Sonntag trifft sie sich mit ihrem Sohn (Trystan Pütter), der eine ebenso wundervolle wie niederschmetternde Nachricht hat: Seine Frau ist im dritten Monat, Hanne wird Oma; vorausgesetzt, sie lebt dann noch.

Aus dem Stoff hätte ein tränenreiches Melodram werden können, aber Grafs launige Umsetzung sorgt für eine völlig andere Stimmung. Natürlich gibt es Momente, in denen Hanne vor ihrem Schicksal kapituliert, aber gemessen am dramatischen Potenzial erzählt der Film die Geschichte dieses Wochenendes fast als Komödie. Das liegt selbstverständlich auch an der Hauptdarstellerin. Iris Berben wird im nächsten Jahr siebzig, wirkt aber wie fünfzig. Ihre Ausstrahlung unterstreicht den Kontrast, weil Hanne überhaupt nicht aussieht wie jemand, der dem Tode geweiht ist. Berben, die hier zum ersten Mal überhaupt mit Graf zusammenarbeitet, hat ein sichtbar großes Vergnügen an ihrem darstellerischen Spektrum zwischen Verzweiflung und Ausgelassenheit. Die weiteren Hauptdarsteller der verschiedenen Momentaufnahmen sind ebenfalls mit Bedacht besetzt worden; gerade Petra Kleinert ist als Glück im Unglück ein ausgezeichnetes Pendant zu Berben, zumal die ebenso herzliche wie emotionale Uli jene Tränen vergießt, die Hannes Haltung nicht zulässt. 

Wie geschickt Langmaack das Drehbuch konzipiert hat, zeigt sich nicht nur an der Dramaturgie, die im Grunde nur aus Momentaufnahmen besteht, sondern auch an den Details: Hanne hat der diebischen Mitarbeiterin ein Eukalyptusbonbon gegeben. Immerhin war die Frau so fair, das Portemonnaie im Briefkasten zu deponieren. Anstelle der Geldscheine findet Hanne das Bonbonpapier mit einer Nachricht: "Sorry". Zwei Tage später ergibt sich eine überraschende Verwendung für die Botschaft. Zu den Kleinigkeiten, die ins Auge fallen, gehört auch die Wanduhr im Besprechungsraum der Klinik: In der Minute zwischen 15.47 Uhr und 15.49 Uhr ändert sich Hannes Leben so radikal, wie das nur denkbar ist; plötzlich klingt auch ein harmloser Satz wie "Sie haben Glück", weil das Hotel fast ausgebucht ist, wie Hohn.