TV-Tipp: "Tatort: Nemesis" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Nemesis" (ARD)
18.8., ARD, 20.15 Uhr
Der gesamte Fall ist ein Mysterium; diese Mindestvoraussetzung für einen guten Krimi ist also schon mal erfüllt. Das gilt auch für eine zweite Prämisse: Die Hauptfigur der Geschichte ist nicht minder rätselhaft.

In der griechischen Mythologie war Nemesis die Göttin des gerechten Zorns; sie personifizierte das sittliche Rechtsgefühl. Deshalb ist der Titel dieses "Tatorts" aus Dresden erst mal verwirrend: Nach der Ermordung eines Restaurantbesitzers weisen alle Spuren in Richtung organisierter Kriminalität. Vermutlich wurde der Mann zu Schutzgeldzahlungen erpresst; weil er sich widersetzt hat, haben die Gangster offenbar kurzen Prozess gemacht. Gegen diese Version spricht die Anzahl der Schüsse: Joachim Benda ist regelrecht durchsiebt worden. Seltsam auch, dass er mit einer Pistole erschossen wurde, die zwar schon mal im Zusammenhang mit einem Milieu-Mord aktenkundig geworden ist, aber das war in Amsterdam; und die Waffe befand sich anschließend im Gewahrsam der Polizei.

Bendas Witwe, Katharina (Britta Hammelstein), ist zwar den Erwartungen entsprechend am Boden zerstört, aber irgendwas stimmt mit ihr nicht; das ist zumindest der Eindruck der beiden Kommissarinnen Gorniak und Winkler (Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel). Dass ihr Vorgesetzter, Schnabel (Martin Brambach), mit Benda befreundet war und sich tröstend um Katharina kümmert, macht die Ermittlungen nicht leichter, denn selbstredend erwartet er, dass die Frau mit Samthandschuhen angefasst wird. Als Winkler im Beisein der Kinder wissen will, ob der Gatte womöglich eine andere hatte, rastet Schnabel aus. Die Nachforschungen ergeben zudem, dass das angesagte Lokal, das Benda schon lange nicht mehr gehörte, offenbar der Geldwäsche diente. Trotzdem ist völlig unklar, welche Rolle der Immobilienunternehmer Nazarian (Marko Dyrlich), eigentlicher Besitzer des Restaurants und ehrenwerter Bürger, bei der ganzen Sache spielt. Die Mafia, versichert ein Kontaktmann Winklers bei einem konspirativen Treffen, sei jedenfalls nicht beteiligt, die lasse ihre Morde wie Unfälle aussehen, und außerdem: "Dresden ist nicht Palermo".

Die Geschichte von "Nemesis" – Mark Monheim und Stephan Wagner haben auch das Drehbuch zum Dresdener Kindermörderkrimi "Déjà-vu" geschrieben – ist auf reizvolle Weise verzwickt und lebt zu gleichen Teilen von der mutmaßlichen Verstrickung Bendas in die organisierte Kriminalität wie auch von der undurchsichtigen Rolle die Witwe. Deren Besetzung ist von entsprechender Bedeutung, und Britta Hammelstein kostet das Potenzial dieser Figur weidlich aus. Katharina Benda ist zwar auf angemessene Weise erschüttert, verhält sich gegenüber ihren Söhnen allerdings sehr unterschiedlich: Der 11jährige Valentin (Caspar Hoffmann) ist eindeutig ihr Liebling, den 13jährigen Viktor (Juri Sam Winkler) scheint sie am liebsten verstoßen zu wollen; die Maßnahmen, die sie ihm androht, um ihm ein Geheimnis zu entlocken, grenzen an Folter. Als es der Kriminaltechnik endlich gelingt, Bendas Computer zu knacken, stellt sich raus, dass er Zweifel an der geistigen Gesundheit seiner Frau hatte; aber für die Tatnacht hat Katharina ein hieb- und stichfestes Alibi.

"Nemesis" ist der zweite "Tatort" aus Dresden mit Cornelia Gröschel, die im Frühjahr mit dem Hochspannungs-Thriller "Das Nest" einen spektakulären Einstand hatte. Auch diesmal spielt das familiäre Umfeld der Oberkommissarin wieder eine große Rolle, schließlich ist sie die Tochter eines pensionierten Polizisten (Uwe Preuss), der ein guter Bekannter ihres Chefs ist. Deshalb wechselt Schnabel ständig die Rollen. Meistens gibt er sich als väterlicher Freund, aber wenn die Kollegin wieder mal bis an den Rand der Insubordination aufmüpfig ist, kehrt er prompt den Vorgesetzten raus und wechselt ins "Sie". Die junge Ermittlerin ist schon allein wegen dieser zusätzlichen Ebene ein Gewinn für die Krimis, aber das gilt nicht minder für ihre Darstellerin, weil Gröschel, sonst allzu oft auf das Muster der in jeder Hinsicht blauäugigen sympathischen Blondine reduziert, ihre Rolle sehr kühl interpretiert. Der Vorwurf, Winkler lasse jede Empathie vermissen, hat durchaus seine Berechtigung, selbst wenn Gröschels Spiel andeutet, dass die emotionale Distanziertheit nicht zuletzt eine Schutzfunktion hat.

Eine gewisse Kälte strahlen auch die erlesen gefilmten Bilder aus. Regisseur Stephan Wagner, für die Filme "Dienstreise – Was für eine Nacht" (2004), "Der Fall Jakob von Metzler" (2013) und "Mord in Eberswalde" (2014) jeweils mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, hat dafür gesorgt, dass Kameramann Hendrik A. Kley gerade das großzügige Domizil der Bendas ausgesprochen unwohnlich wirken lässt; die weißen Wände sehen aus, als läge ein Grauschleier darauf. Bestimmte Kameraperspektiven lassen die Witwe auch dank der unheilverkündenden Musik (Ali N. Askin) als bedrohliche Figur erscheinen, und als sie nachts in der Zimmertür ihres Sohnes Viktor steht und nur als Schattenriss zu erkennen ist, wirkt sie in der Tat wie eine mythologische Rachefigur. Aber nicht nur die Bildgestaltung, auch die Handlung ist teilweise recht aufwändig; echte Verfolgungsjagden sind aus Kostengründen mittlerweile eine Seltenheit im TV-Krimi. Das dramatische Finale ist ein krönender Abschluss für diesen sehenswerten "Tatort" aus Dresden.