TV-Tipp: "Sympathisanten – Unser deutscher Herbst"

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Sympathisanten – Unser deutscher Herbst"
17.7., ARD, 22.45 Uhr
"Ein kluges Wort, und schon ist man Terrorist": Das klingt lustig, war aber tödlicher Ernst. In den späten Siebzigerjahren war die Bundesrepublik Deutschland geprägt von einem Klima der Angst, das sich heute kaum noch nachvollziehen lässt.

Junge Menschen mit langen Haaren oder subversiven Autoaufklebern mussten bei Kontrollen damit rechnen, in die Mündungen von Maschinenpistolen zu schauen; angesichts der Nervosität der oft kaum älteren Polizisten hätte eine falsche Bewegung unübertrieben tödlich enden können. Das Land war 1977 im emotionalen Ausnahmezustand, willkürliche Festnahmen waren quasi an der Tagesordnung, nachdem Mitglieder der Roten Armee Fraktion innerhalb von nur sechs Monaten erst den Generalbundesanwalt Siegfried Buback (sowie zwei seiner Begleiter), dann den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, und schließlich den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes, Hanns Martin Schleyer, ermordet hatten.

Wie schon zehn Jahre zuvor stand die immer noch vergleichsweise junge deutsche Demokratie vor einer Belastungsprobe. Schon während der Studentenunruhen 1967/68 war von "Polizeistaat" die Rede gewesen, aber nun nahm die Atmosphäre hysterische Züge an. Deutschland war ähnlich gespalten wie heute Großbritannien angesichts des drohenden "Brexits" oder Amerika unter Donald Trump: hier die Generation der Älteren mit ihren Sprachrohren "Bild"-Zeitung und Gerhard Löwenthal ("ZDF Magazin"), dort viele Jüngere, Intellektuelle, linke Journalisten, Theologen und Künstler, die von konservativen Kreisen pauschal als "Sympathisanten" und geistige Wegbereiter des RAF-Terrorismus verurteilt wurden. Es war eine Zeit ohne Zwischentöne.

Felix Moeller wollte wissen, wie es dazu kommen konnte. Der Historiker und Dokumentarfilmer hat die Atmosphäre als Sohn beziehungsweise Stiefsohn von Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff hautnah miterlebt, denn beide wurden als RAF-Helfer bezichtigt. Beim Italien-Urlaub 1975, Moeller war damals zehn, gab es eine Razzia im italienischen Feriendomizil der Familie: Die Polizei suchte nach Angehörigen der Terrorgruppe Rote Brigaden. In seinem betont subjektiv konzipierten Film "Sympathisanten. Unser deutscher Herbst" lässt Moeller in langen Gesprächen mit Mutter und Stiefvater die Erinnerungen an jene Zeit aufleben. Basis der fesselnden neunzig Minuten sind die von seiner Mutter vorgelesenen Tagebücher, in denen sie nicht nur das Klima jener Jahre schildert, sondern auch von vielen Begegnungen berichtet.

Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Heinrich Böll ein; der Schriftsteller hat mit seiner Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" 1974 beschrieben, wie eine unbescholtene junge Frau von einer Boulevardzeitung als "Terroristenbraut" verunglimpft wird. Als Schlöndorff und von Trotta den Roman ein Jahr später verfilmten, gerieten auch sie an den Pranger des Springer-Verlags, der bald darauf alle Links-Intellektuellen unter Generalverdacht stellte. Gerade von Trotta macht keinen Hehl daraus, dass sie sich neben ihrem Engagement im Rahmen der Initiative "Rote Hilfe" für bessere Haftbedingungen von politischen Gefangenen durchaus mit einigen Ideen der RAF identifizieren konnten. Wie viele andere "Sympathisanten" war sie überzeugt, dass die RAF-Führungsriege Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe im Oktober 1977 im Stammheimer Gefängnis ermordet worden seien. Vierzig Jahre später räumt sie ein, damals "nicht immer mit dem eigenen Kopf gedacht" zu haben. 

Lange her und längst Geschichte, könnte man sagen, selbst wenn Moeller das Kunststück gelungen ist, gerade durch den subjektiven Ansatz eine gewisse Objektivität zu erzielen; er selbst, sagt er, war damals Fan von Helmut Schmidt. Neben seinen (Stief-)Eltern hat er viele weitere interessante Gesprächspartner zu bieten, darunter die ehemaligen RAF-Mitglieder Christof Wackernagel und Karl-Heinz Dellwo, außerdem den Schriftsteller Peter Schneider sowie Marius Müller-Westernhagen, der 1978 mit "Grüß mir die Genossen" ein Lied über das denunziatorische Klima verfasst hat: "Neulich, 6 Uhr früh, tritt man mir die Tür ein. Ich spring aus dem Bett, da stürmt die Polizei rein. Los, stellen Sie sich an die Wand, man hat sie erkannt. Ein Nachbar rief uns an: Sie sind ein Sympathisant." Gerade für Menschen, die damals die prägenden Jahre ihrer Jugend erlebt haben, stellt Moellers Werk auch dank vieler Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und Filmen wie "Messer im Kopf", "Die bleierne Zeit" und natürlich "Katharina Blum" eine faszinierende Wiederbegegnung dar.

Aber der Film hat darüber hinaus auch einen konkreten Bezug zur Gegenwart. Böll hatte seinem Buch den Titelzusatz „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ gegeben. Die Hetze der Springer-Presse hatte zur Folge, dass Schlöndorff Morddrohungen bekam („Vergasen sollte man dich“). Von Trotta schreibt in ihrem Tagebuch über „Volkszorn“ und „Lynchstimmung“. Es lässt sich leicht ausmalen, welche Konsequenzen eine derartig tendenziöse Berichterstattung heute hätte, da in den sogenannten sozialen Netzwerken schon viel geringfügigere Anlässe einen „Shitstorm“ auslösen können. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor einigen Wochen hat deutlich gemacht, wohin das führen kann.