TV-Tipp: "Ich werde nicht schweigen" (Arte)

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TV-Tipp: "Ich werde nicht schweigen" (Arte)
27.6., Arte, 20.15 Uhr
Die Geschichte klingt abenteuerlich, aber sie beruht auf wahren Begebenheiten: Als Margarethe Oelkers kurz nach dem Zweiten Weltkrieg um ihre Witwenrente kämpft und dabei aus der Rolle fällt, weil der Vorgang schon seit Jahren verschleppt wird, findet sie sie sich unversehens in einer geschlossenen Anstalt wieder; der Leiter des Gesundheitsamts hat sie kurzerhand einweisen lassen. Nach einem Jahr voller Torturen wird sie ebenso unerwartet wieder entlassen, doch ihr Wille ist ungebrochen. In den Unterlagen ihres Mannes, der ebenfalls für das Gesundheitsamt gearbeitet hatte, stößt sie auf eine Liste mit Namen und Daten; sie sind der Schlüssel zu einem furchtbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Hintergrund der Handlung sind die Euthanasie-Morde, die während des Zweiten Weltkriegs im niedersächsischen Wehnen begangen wurden und für die nie jemand zur Rechenschaft gezogen worden ist. Das Nachkriegsdrama "Ich werde nicht schweigen" bringt also alle Voraussetzungen für einen großen Fernsehfilm mit, der gleichzeitig Hommage an eine unbeugsame Frau wie auch Krimi sein könnte. Von beidem ist er in der Tat ein bisschen; aber ohne den Zusatz "groß". Unter der Regie von Esther Gronenborn ist aus der in Tschechien entstandenen Produktion ein kraftloses Werk geworden, dem zum großen Wurf nicht nur das Geld fehlte.

Es ist ohnehin schon eine Weile her, dass die Regisseurin einen bedeutsamen Film gedreht hat. Das war ihr Debüt "alaska.de" (2000), ein düsteres Berlin-Drama im Dogma-Stil, für das sie mit dem Deutschen Filmpreis 2001 für die Beste Regie und dem Bayerischen Filmpreis als Beste Nachwuchsregisseurin ausgezeichnet wurde. Gut acht Jahre später folgte "Hinter Kaifeck", ein nicht zu Unrecht in Vergessenheit geratener Mystery-Thriller für ProSieben; anschließend vergingen weitere acht Jahre. "Use it or lose it", warnt eine englische Redensart, und das gilt offenbar auch für ein Regietalent: Wenn man’s nicht nutzt, geht es verloren. Selbst eine Schauspielerin wie Hauptdarstellerin Nadja Uhl wirkt in Gronenborns historischem Drama mitunter ungeführt. Die meisten Nebenfiguren erstarren zudem im Klischee: Barbara Philipp als Nachbarin mit Blockwartmentalität ("Vergasen sollte man Sie"), Martin Wuttke als intriganter Kriegsversehrter, der nach Margarethes Entlassung zu ihrem Vormund wird und sich schließlich als ehemaliger SS-Mann entpuppt, Katja Flint als Beamtengattin, die jahrelang weggesehen hat. Marek Harloff als Klinikleiter wirkt gar wie eine Figur aus einem zweitklassigen Horrorfilm. Dass die Darsteller gerade zu Beginn ausnahmslos etwas steif wirken, hat auch mit den Dialogen zu tun, die allzu oft reinen Informations-Charakter haben ("Sie als Leiter des Gesundheitsamts"). Später wird Margarethe von ihrer Schwester (Petra Zieser) als "Schwesterchen" begrüßt. Dass sie schon geraume Zeit auf ihre Kriegswitwenrente wartet, wird gleich mehrfach mitgeteilt. 

Gerade angesichts des namhaften Ensembles ist die Sparsamkeit der Bilder umso auffälliger. Als Margarethe nach ihrem Aufenthalt in der "Irrenanstalt" erneut das Gesundheitsamt aufsucht, steht da immer noch der gleiche britische Militärlaster wie ein Jahr zuvor, umgeben von den gleichen gelangweilten Soldaten; das Fräulein vom Empfang trägt sogar die gleiche Kleidung. Die meisten Szenen sind ohnehin Innenaufnahmen; bei den wenigen Straßenbildern gibt es kaum Komparsen, die verloren in der Gegend herumstehen. Eine Marktszene wirkt und klingt komplett künstlich. Die therapeutischen Folterszenen in der Anstalt, immer wieder als kurze Erinnerungsfetzen eingeblendet, sind dafür derart schauerlich, dass sie prompt Albtraumpotenzial haben.

In der zweiten Hälfte nutzt Gronenborn, die das Drehbuch gemeinsam mit Sönke Lars Neuwöhner geschrieben hat, endlich das Potenzial dieses Dramas, das auf den Erinnerungen ihrer Großmutter basiert. Jetzt verkörpert auch Nadja Uhl ihre Rolle mit jener Intensität und Empathie, die man von einer Schauspielerin ihrer Klasse erwarten darf. Dank Margarethes Nachforschungen nimmt "Ich werde nicht schweigen" kriminalistische Züge an. Womöglich hätte es dem Film gut getan, wenn Gronenborn ihre Geschichte stärker in diese Richtung entwickelt hätte. ARD und ZDF werden zwar zu recht dafür kritisiert, dass sie relevante Themen allzu oft als Krimi verpacken, aber in diesem Fall wäre das vielleicht die bessere Entscheidung gewesen. Dann wäre wohl auch eine Frage beantwortet worden, die eine seltsame Leerstelle darstellt: Offenbar ist Margarethe das Opfer eines Komplotts geworden, weil der schurkische Leiter (Rudolf Kowalski) des Gesundheitsamts, der in seinem Schlussmonolog über "Krüppel und Kretins" und andere zu eliminierende "Volksschädlinge" schwadroniert, sie aus dem Weg geräumt hat; aber dann hätte Gronenborn erst recht erklären müssen, warum sie die Anstalt wieder verlassen durfte. Der stärkste Moment des Films ist die Schlusseinstellung mit Dutzenden Wackersteinen, die an die Opfer von Wehnen erinnern.