TV-Tipp: "Jonathan" (ARD)

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TV-Tipp: "Jonathan" (ARD)
25.6., ZDF, 22.45 Uhr
Schon die ersten Bilder dieses eindringlichen Debütdramas verbreiten eine morbide Stimmung: Ein satter Regen fällt aufs Land, alles wirkt finster und hoffnungslos. Im Wald hockt zitternd ein Mann; sein Sohn findet ihn und bringt ihn nach Hause. Dort stellt der Junge Fragen nach der Mutter, doch der Alte weigert sich, über seine angeblich bei einem Unfall verstorbene Frau zu sprechen.

Der Film lässt zunächst ebenfalls viele Fragen offen; Piotr J. Lewandowski (Buch und Regie) beschränkt sich auf eine fast dokumentarisch anmutende Beobachterposition. Der Vater, Burghardt (André M. Hennicke), ist sichtlich schwerkrank; erst später wird klar, dass er Krebs und nicht mehr lange zu leben hat. "Jonathan" spielt auf einem Bauernhof zur Erntezeit, es gibt viel zu tun; der Titelheld (Jannis Niewöhner), 23, droht zwischen der Arbeit und der Pflege des Vaters verloren zu gehen. Das ändert sich erst, als eine Pflegerin wie ein Traumwesen in sein Leben tritt: Anka (Julia Koschitz) ist eine luftig gekleidete selbstbewusste junge Frau, die viel positive Energie ausstrahlt. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, doch die ältere Anka spürt rasch, dass ein Geheimnis über den Hof und der Familie lastet. Dafür steht allen voran Jonathans verhärmte Tante Martha (Barbara Auer), doch auch sie ergeht sich bloß in düsteren Andeutungen.

Lewandowski, ein gebürtiger Pole, ist bereits für das Drehbuch mehrfach ausgezeichnet worden. Das dürfte die Namhaftigkeit der Mitwirkenden erklären; in einer weiteren wichtigen Rolle als Burghardts bester Freund Ron ist Thomas Sarbacher zu sehen. Die entscheidende Besetzung war jedoch die Titelfigur. Jannis Niewöhner, Jahrgang 1992, ist nicht zuletzt dank der Amazon-Serie "Beat" (2018), für die er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden ist, längst einer der großen Stars seiner Generation. 2015, als "Jonathan" entstanden ist, war er dank der Fantasy-Kinoreihe "Rubinrot", "Saphirblau" und Smaragdgrün" (2013 bis 2016) zwar längst kein Anfänger mehr, aber die Titelrolle in dem ZDF/ORF-Dreiteiler "Maximilian – Das Spiel von Macht und Liebe" (2017) lag noch vor ihm. Der Schauspieler, damals so alt wie seine Figur, dürfte Lewandowskis Hoffnungen mehr als erfüllt haben; Niewöhner hat für "Jonathan" (und für "Jugend ohne Gott") 2016 den Bayerischen Filmpreis als Bester Nachwuchsdarsteller bekommen. Er vermeidet einen Fehler, den die meisten jungen Schauspieler begehen, wenn sie jugendlichen Zorn verkörpern sollen: Sie schreien und toben und lassen alles raus. Niewöhner jedoch lässt Jonathan den ganzen Druck in sich hineinfressen; sein Spiel ist eine einzige Implosion des Schweigens.

Ähnlich vorzüglich wie die Arbeit mit den Schauspielern ist die Bildgestaltung. "Jonathan" war nach einigen preisgekrönten Kurzfilmen der erste Langfilm, den Lewandowski, Absolvent der Filmakademie in Ludwigsburg, in eigener Regie inszeniert hat; vorher hatte er gemeinsam mit Carsten Strauch "Die Aufschneider" gedreht (ebenfalls mit namhafter Besetzung). Umso eindrucksvoller sind die Bilder (Kamera: Jeremy Rouse), die dem Film im Zusammenspiel mit der dräuenden Musik (Lenny Mockridge) eine ganz eigentümliche Atmosphäre verleihen. Abgesehen von wenigen heiteren Szenen wie jener, als das Liebespaar nackt und übermütig durch die Natur tollt, scheint eine Art Mehltau über dem Anwesen und somit auch über "Jonathan" zu liegen. Nicht nur die aus vielen Momentaufnahmen bestehende Dramaturgie, auch die regelmäßigen Zwischenschnitte auf Insekten unterstreichen den Eindruck, dass Lewandowski die Geschichte wie eine Fallstudie konzipiert hat. Ähnlich wie der Schmetterling, der einem Spinnenetz entkommt, kann sich auch Jonathan schließlich aus den familiären Fallstricken befreien. Zwischenzeitlich verliert er jedoch komplett den Boden unter den Füßen, als ihm klar wird, dass er sein bisheriges Leben mit einer Lüge verbracht hat. Dem Teufelskreis und damit auch dem Schicksal "Einmal Bauer, immer Bauer" entkommt er jedoch nur, wenn er seinen Frieden mit dem Vater schließt; aber dafür muss Burghardt, der große Schuld auf sich geladen hat, erst mal sich selbst vergeben.

Abgesehen von Bildgestaltung und Darstellerführung ist "Jonathan" schon allein wegen des ungeschönten Umgangs mit dem Thema Sterben ein ungewöhnliches Drama. Burghardt siecht förmlich dahin; eine reine Fernsehproduktion würde sich die entsprechenden Bilder nicht trauen. Berührender als der Todeskampf ist jedoch ein Abschiedsmoment, als der Sterbende von Ron und Jonathan über eine Wiese getragen wird und ein letztes Mal die Grashalme durch seine Finger gleiten lässt. Neben dem Tabuthema, über das keiner der Beteiligten sprechen will, war dies Lewandowskis Motiv, die Geschichte zu erzählen: "Der Film soll die existenziellen Ängste und Träume eines jungen Mannes vermitteln, der sich mit dem Tod auseinandersetzen muss." Auch deshalb ist Niewöhner als kantiger Typ wie geschaffen für die Rolle: Einerseits demonstriert Jonathan Härte, andererseits kümmert er sich liebevoll um den Vater. Wie sehr die Ereignisse dem jungen Mann zu schaffen machen, vermittelt Niewöhner eher unterschwellig.