Arzt soll zahlreiche Kinder am Saar-Uniklinikum missbraucht haben

Arzt soll zahlreiche Kinder am Saar-Uniklinikum missbraucht haben
Mutmaßlicher Täter ist inzwischen verstorben
Ein Arzt am Universitätsklinikum des Saarlandes soll über Jahre hinweg Kinder sexuell missbraucht haben. Ermittlungen wurden nach dessen Tod 2016 eingestellt. Nun will das Klinikum die möglichen Opfer und deren Eltern informieren.

Saarbrücken, Homburg (epd). Ein Missbrauchsskandal erschüttert das Universitätsklinikum des Saarlands: Ein inzwischen verstorbener Assistenzarzt soll sich in der Kinderpsychiatrie in Homburg über Jahre hinweg an Kindern vergangen haben. Acht Jahre nach einem ersten Missbrauchsverdacht gegen den Mann sollen nun die möglichen Opfer und deren Eltern informiert werden, wie die Klinik am Montag mitteilte. Das Klinikum habe sich nach einer neuen Expertise zu diesem Schritt entschlossen, sagte der Ärztliche Direktor Wolfgang Reith. Über den Skandal hatte zuerst das ARD-Magazin "Monitor" berichtet. Demnach soll der Arzt zwischen 2010 und 2014 in mindestens 30 Fällen medizinisch unnötige Behandlungen im Intimbereich von Kindern vorgenommen haben.

Der erste Verdacht, dass der mutmaßliche Täter pädophile Neigungen haben könnte, war nach Angaben von Reith im Juni 2011 aufgekommen. Die Klinikleitung hatte den mutmaßlichen Täter Ende 2014 entlassen und Strafanzeige erstattet. Laut "Monitor" leitete die Staatsanwaltschaft Saarbrücken wenig später ein Ermittlungsverfahren ein, die möglichen Opfer und deren Eltern seien aber selbst dann nicht in Kenntnis gesetzt worden. Der Arzt starb 2016 im Alter von 36 Jahren.

Nach der Entlassung des Mitarbeiters 2014 seien 302 Fallakten, die der Arzt behandelt habe, untersucht worden und es hätten sich 34 Verdachtsfälle ergeben, sagte Reith. Die Kinder seien damals im Alter zwischen fünf und acht Jahre alt gewesen. Reith sagte, er könne nicht ausschließen, dass der Mediziner nicht auch in weiteren Fällen übergriffig geworden sein könnte.

"Wir wollen uns der Verantwortung stellen", betonte der Ärztliche Direktor. Ziel seien zudem "größtmögliche Transparenz" und eine "Aufklärung ohne Wenn und Aber". Alle 34 Betroffen seien per Brief informiert worden, ihnen sei ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Rechtsaufsicht in Begleitung eines Psychologen angeboten worden. Telefonisch seien bis Freitag 20 Uhr mögliche Betroffene erreicht worden, sagte Reith. Von diesen hätten sechs das Angebot eines persönlichen Gesprächs angenommen. Niemand werde gedrängt, unterstrich er.

Zudem laufen den Angaben zufolge Untersuchungen in einem Sportclub, wo der Beschuldigte Trainer war. Bei den Ermittlungen zu dessen frühen Tod habe die Staatsanwaltschaft Zweibrücken keinen Hinweis auf Selbstmord oder ein Tötungsdelikt gefunden, erklärte der Saarbrücker Oberstaatsanwalt Michael Görlinger. Seine Behörde habe nach dem Tod des Beschuldigten das Ermittlungsverfahren einstellen müssen. Der Fall war erst ans Licht gekommen, als im April 2019 die Eltern eines jetzt 13-jährigen Jungen bei der Polizei zufällig erfahren hatten, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Missbrauchsverdachts ermittelt hatte.

Die Leiterin der Abteilung Wissenschaft, Hochschulen und Technologie im Wissenschaftsministerium, Annette Groh, sagte als Vertreterin der Rechtsaufsicht, alle Fälle würden jetzt umfassend untersucht. Die Wissenschaftsbehörde habe sich für die Informationspolitik entschieden, weil sich in der Zwischenzeit viel geändert habe. Ausschlaggebend sei ein Gutachten des international anerkannten Experten Jörg M. Fegert gewesen, erklärte Groh. Der Vorsitzende des "Weißen Rings" im Saarland, Gerhard Müllenbach, sagte: "Oberste Priorität ist es die Menschen, die zwischen 2010 und 2014 Opfer geworden sind, dabei zu unterstützen, die teils traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten."

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) zeigte sich erschüttert. "Wenn ein solcher Verdacht im Raum steht, muss umgehend eine lückenlose Aufklärung erfolgen", erklärte er am Montag. Das Wohl der Kinder stehe dabei für ihn an erster Stelle. "Gerade Kinder und Jugendliche und ihre Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass ihr Vertrauen nicht durch Behandler schändlich ausgenutzt wird", sagte Hans. So etwas dürfe nie wieder passieren.