TV-Tipp: "Reiterhof Wildenstein: Die Pferdeflüsterin" (ARD)

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TV-Tipp: "Reiterhof Wildenstein: Die Pferdeflüsterin" (ARD)
10.5., ARD, 20.15 Uhr
Klara Deutschmann ist nicht Robert Redford, aber das erwartet auch niemand, selbst wenn der Episodentitel "Die Pferdeflüsterin" entsprechende Assoziationen weckt. Zu Pferde aber macht die junge Schauspielerin eine richtig gute Figur. Die ganz schwierigen Dressurszenen hat sie zwar sichtbar nicht selbst geritten, aber davon abgesehen sieht das alles sehr glaubwürdig aus. Das muss es auch, schließlich hat Rike nicht weniger als eine Revolution des Reitsports im Sinn: Wo die Kollegen zu Gerte und Sporen greifen, wenn sie ihre Pferde dressieren, arbeitet sie mit Empathie. Aber das ist nur die eine Seite dieses Auftakts zu "Reiterhof Wildenstein", einer möglichen neuen Filmreihe, mit der sich die ARD viele junge Freundinnen machen will.

Rike, Ende zwanzig, kommt anlässlich der Beerdigung ihres Vaters aufs elterliche Gestüt in Oberbayern zurück. Sie war 13 Jahre in Amerika, wo sie zuletzt mit wilden Mustangs gearbeitet hat. Die alten Gefühle für ihre Jugendliebe Christian (Alexander Khuon), mittlerweile mit Rikes einstiger besten Freundin verheiratet, sind zwar noch da, aber dafür ist ihre Beziehung zum älteren Bruder Ferdinand (Shenja Lacher) dramatisch abgekühlt. Der Reiterhof ist hoch verschuldet. Letzte Hoffnung ist Dressurpferd Jacomo. Der Trainer (Pierre Kiwitt) rückt dem Pferd allerdings mit derart rabiaten Methoden zu Leibe, dass nach Rikes Ansicht jedes Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier für immer zerstört ist. Kurzerhand übernimmt sie die Dressur selbst, doch die Zeit ist knapp: In zwei Wochen startet das Turnier.

Vor einigen Jahren hat eine neue Führung der ARD-Tochter Degeto beim Freitagsfilm für durchgreifende Änderungen gesorgt. Die Kritiker waren begeistert, das Stammpublikum weniger; allzu viele Geschichten entsprachen nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Zuschauer. Das gilt zwar auch für einen Stoff wie "Reiterhof Wildenstein", aber damit können sich die meisten Menschen leichter identifizieren als mit zwei gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kinderwunsch ("Vier kriegen ein Kind") oder einem Jugendlichen, der lieber ein Mädchen wäre ("Mein Sohn Helen", beide 2015). Abgesehen davon richten sich die Freitagsfilme an ein eher weibliches Publikum; die Affinität dieser Zielgruppe zu Pferden ist sicher mehr als nur ein Klischee.

Der Sendeplatz bewegt sich ohnehin schon seit einiger Zeit wieder stärker in die frühere Richtung. Die handwerklichen Maßstäbe sind allerdings deutlich höher, zumal die Besetzung von einer ganz anderen Vielfalt ist als in  jenen Jahren, als Christine Neubauer freitags im "Ersten" Stammgast war. Und schließlich taugt die Hauptfigur auch für Männer als Vorbild. Eine junge Frau, die angesichts enormer Herausforderungen und trotz verschiedener Rückschläge nicht aufgibt: Das ist eine klassische Held(inn)engeschichte, die mit Klara Deutschmann treffend besetzt ist. Dass sie einen Film tragen kann, hat sie 2016 in ihrer ersten Hauptrolle in der "Inga Lindström"-Episode "Zurück ins Morgen" (ZDF) bewiesen. In den beiden "Reiterhof"-Filmen darf die attraktive Tochter von Heikko Deutschmann ein breites emotionales Spektrum ausleben: Nicht alle in der Familie sind erfreut über Rikes Rückkehr; gerade Ferdinand begegnet ihr mit unverhohlener Feindseligkeit.

Natürlich gibt es auch eine romantische Ebene, und das nicht nur wegen der alten Gefühle für Christian. Weil Rike gleich mehrfach nicht unerheblich gegen die Straßenverkehrsordnung verstößt, trifft sie regelmäßig auf einen Hüter des Gesetzes. Die Begegnungen bereiten dem Kommissar (Stefan Pohl) offenkundig mehr als nur berufliche Freude, und selbstverständlich steht irgendwann auch ihr amerikanischer Freund Jack (Angus McGruther) vor der Tür. Solche Verwicklungen gehören ebenso zur Grundausstattung des Sendeplatzes wie das schöne Wetter. Sehr besonders sind dagegen die Pferdeszenen, die von einem glaubwürdig innigen Verhältnis zwischen Rike und Jacomo zeugen. Ähnlich überzeugend sind die weiteren Darbietungen, zumal mit Gerd Anthoff (als Anwalt der Familie) und dem im Auftaktfilm allerdings erst gegen Ende mitwirkenden Helmfried von Lüttichau (als Tierarzt) ausgezeichnete Schauspieler zum Ensemble gehören. Für die Qualität des Films steht auch Autorin Andrea Stoll, von der unter anderem die Drehbücher zu dem Heimkinddrama "Und alle haben geschwiegen" (2013, ZDF) oder der melancholischen Komödie "Chuzpe" (2015, ARD) stammen. Regie führte Grimme-Preisträgerin Vivian Naefe ("Einer geht noch"), eine der erfahrensten deutschen Regisseurinnen, deren umfassende Filmografie zum Beispiel die "Wilde Hühner"-Kinoreihe sowie die Verfilmungen der Familienromane von Andrea Sawatzki ("Tief durchatmen, die Familie kommt") enthält. Erstaunlicherweise verzichten die Regisseurin und ihr Stammkameramann Peter Döttling auf die für solche Sujets eigentlich obligaten Landschaftsaufnahmen; für Augenfutter sorgen hier die Reitbilder von Klara Deutschmann mit ihrer blondgelockten Mähne. 

Der zweite Teil, "Kampf um Jacomo" (17. Mai), ist zwar deutlich dramatischer, weil sich Rike aufgrund eines miesen Komplotts vom geliebten Jacomo trennen muss, aber trotzdem weniger gelungen: Einige Nebenfiguren sind viel zu eindimensional und entsprechend einfallslos, und gerade die Darstellerinnen der jungen Reiterinnen sind nicht immer überzeugend. Auch die Handlung ist mitunter allzu schlicht: Die Essstörungen eines jungen Mädchens stehen selbstredend für die Ehekrise ihrer Eltern, und wenn sich Rikes Mündel Tabea (Nele Trebs), jung, kriminell und zur Resozialisierung auf dem Hof, im Stall vor dem Rauchverbotschild eine Zigarette anzündet, steht kurz drauf natürlich das Stroh in Flammen. Immerhin liefert der Film eine Erklärung für die Wut von Ferdinand, und Rike klärt ihr Liebesleben; zumindest zum Teil. Stoff für eine Fortsetzung gibt es ohnehin genug, und das nicht nur wegen der Umwidmung des Gestüts in ein Therapiezentrum für Problempferde.