TV-Tipp: "Ein starkes Team: Entedank"

 Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Ein starkes Team: Entedank"
16.3., 20.15 Uhr, ZDF
Es ist nicht überliefert, wie Florian Martens nach der Lektüre des Drehbuchs reagiert hat, aber vermutlich hat er sich in diesem Moment sehr auf die Dreharbeiten zur 78. Episode des ZDF-Dauerbrenners "Ein starkes Team“ gefreut. "Erntedank“ ist ein Jubiläumsfilm, die Reihe ist im März 1994 gestartet, weshalb sich gewisse Vergleiche zu den Anfangsjahren aufdrängen.
Damals, als "Political correctness“ hierzulande in jeder Hinsicht noch ein Fremdwort war, durfte Martens seinen Kommissar Otto Garber als Rohdiamanten verkörpern, der seine Zigaretten, wie sich der Schauspieler erinnert, "beim Vietnamesen unter der Brücke gekauft und im Verhör auch mal zugeschlagen hat, wenn ihm der Kragen geplatzt ist." Im Lauf der Jahre habe die Figur immer mehr Ecken und Kanten verloren. In "Erntedank“ ist wieder alte Otto unterwegs, rauchend und saufend, und das sogar auf Spesen, denn das Drehbuch (Johannes Rotter) schickt ihn als Undercover-Ermittler unter die Schrebergärtner.
 
Schon Garbers erste Szene wirkt, als hätten Produktion und Redaktion Martens anlässlich des Jubiläums etwas Gutes tun wollen: Der Kommissar hat Urlaub, ist beim Angeln und darf ein paar amüsante Slapstickeinlagen zum Besten geben. Die Idylle endet abrupt, als das Telefon klingelt: Ein ehemaliger Kollege ist ermordet worden. Albert Kramm, schon früher als Stinkstiefel und Kollegenschreck verschrien, hat offenbar auch als Rentner weiter den Blockwart gegeben und seinen Kleingartenverein Berolina als Vorsitzender mit harter Hand geführt. Wer gegen die Regeln verstieß, musste eine saftige Zwangsspende entrichten. Die Konstellation erinnert an Folge 72, die in einer Vorortsiedlung spielte, und auch der Titel "Wespennest“ würde wieder passen: Der Schauplatz ist übersichtlich, weshalb die Zahl der Verdächtigen überschaubar ist, und da fast alle Beteiligten etwas zu verheimlichen haben, tun sich hinter der idyllischen Fassade alsbald Abgründe auf; alle Vereinsmitglieder hatten gute Gründe, sauer auf Kramm zu sein, zumal der Mann offenbar auch vor Erpressung nicht zurückschreckte. Weil die Schrebergärtner eine verschworene Gemeinschaft sind, hat Teamchef Reddemann (Arnfried Lerche) die Idee, Garber verdeckt ermitteln zu lassen, was dem Film gut tut: Es gibt nicht mehr ganz so viele Revierszenen, und Martens hat eine Menge Spielmaterial. Das reicht zwar noch nicht, um aus "Erntedank“ eine innerhalb der Reihe überdurchschnittlich gute Episode zu machen, sorgt aber immerhin für eine gewisse Kurzweiligkeit. 
 
Das Drehbuch stammt von Johannes Rotter. Der Autor hat zuletzt einen guten Kölner "Tatort“ ("Mitgehangen“, 2018) und zuvor unter anderem die Sozialkomödie "Wir sind die Rosinskis“ (2016, mit Katharina, Anna und Nellie Thalbach) geschrieben. Für sein Drama "Kehrtwende“ (2011) ist er mit dem Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet worden. Die Familientragödie handelte von einem beliebten Lehrer, der zuhause regelmäßig die Beherrschung verliert. Dieses Thema greift Rotter auch diesmal wieder auf, allerdings zunächst sehr subtil und nur anhand feiner Nuancen erkennbar, weshalb die Geschichte ansonsten dem erwartbaren Krimimuster folgt: Anfangs vergießen die Laubenpieper viele Krokodilstränen, aber dann kommt Garber nach und nach ihren verschiedenen Geheimnissen auf die Schliche. Auf diese Weise wird jeder mal zum Hauptverdächtigen, allen voran der Sohn des Opfers: Markus Kramm (Sebastian Hülk) ist nach einem Einbruch vom eigenen Vater verhaftet und kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden. 
 
Johannes Grieser hat neben rund einem Dutzend Folgen des "Starken Teams“ zuletzt unter anderem "Die Guten und die Bösen“ aus der ZDF-Reihe "Unter Verdacht“ gedreht, aber trotz seiner ansehnlichen Krimi-Erfahrung kommt selbst bei einer kurzen Verfolgungsjagd kaum Spannung auf. Angesichts des konventionellen Stils wirken die seltenen optischen Effekte wie etwa ein in Zeitlupe herabfallender Teller prompt aufgesetzt. Größeres Manko ist jedoch die Arbeit mit den Schauspielern. Obwohl einige der Episodengäste durchaus namhaft sind (Ronald Kukulies, Kai Scheve, Laura de Boer, Karolina Lodyga), sind die Kleingärtner allesamt typische Krimi-Nebenfiguren ohne nennenswerte Tiefe. Gerade in den Ensembleszenen passiert außerdem zwischen den Figuren viel zu wenig. Umso schöner sind einige auf verblüffende und sympathische Weise humorvolle Dialoge. Die komischen Momente sind Grieser ohnehin sehr gut gelungen.
 
Sehenswert ist "Erntedank“ daher vor allem wegen Martens, der das große Spektrum seiner Rolle sichtlich auskostet. Es wird kein Zufall sein, dass ihm auch der witzige Schluss gewidmet ist: Das liebevoll mit einer musikalischen Anlehnung an das berühmte Motiv aus "Der weiße Hai“ unterlegte Angelerlebnis wirkt wie ein Dankeschön an den letzten verbliebenen Darsteller aus der Anfangszeit der Reihe. Abgesehen davon vermittelt Martens gerade in den Schrebergartenszenen, wie sehr Garber hier in seinem Element ist, wenn auch nicht des Gärtnerns wegen, denn das misslingt ihm gründlich; ein frisch gepflanzter Baum kippt um wie vom Blitz getroffen. Es gibt nicht mehr viele Schauspieler, die den sogenannten kleinen Mann ähnlich glaubwürdig verkörpern können wie der Berliner, der in der Schrebergartenkolonie prompt authentischer wirkt als die anderen Kleingartendarsteller. Das gilt erst recht für ultrakurze Dialoge wie diesen: "Bier?“ "Immer.“