Regierung hat weiterhin keinen Überblick über Obdachlosigkeit

Obdachlosigkeit
Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Ein Obdachloser liegt unter einer Eisenbahnunterführung.
Regierung hat weiterhin keinen Überblick über Obdachlosigkeit
Wohnungslosenhilfe: Wir warten seit zwanzig Jahren auf bundesweite Zahlen
Wie viele Menschen haben in Deutschland keine Wohnung und leben auf der Straße? Die Bundesregierung kennt die Antwort auf die Frage nicht, auf eine bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik wartet die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe bisher vergeblich.

Die Bundesregierung hat weiterhin keinen vollständigen Überblick über das Ausmaß der Obdachlosigkeit in Deutschland. Das geht aus einer Antwort des Bundesbauministeriums auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion hervor, über die zuerst die "Passauer Neue Presse" (Freitag) berichtet hatte. Die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Werena Rosenke, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), man warte seit zwanzig Jahren auf die Einführung einer Bundesstatistik.

Das Bundesbauministerium bestätigte in seiner Antwort an die Grünen, die dem epd vorliegt, es gebe "keine bundesweite amtliche Statistik zum Umfang der Wohnungslosigkeit." Die Bundesregierung stütze sich daher auf Schätzungen der Wohnungslosenhilfe. Dort seien Mehrfacheinträge möglich, erklärte das Ministerium. Zudem könne nicht unterschieden werden zwischen vorübergehend Wohnungslosen und Menschen, die lange oder dauerhaft ohne Obdach leben.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gibt alle zwei Jahr eine Schätzung der Zahl der wohnungslosen Menschen heraus. Dabei macht sie selbst regelmäßig auf die zwangsläufigen Ungenauigkeiten aufmerksam. Nach der jüngsten Schätzung von 2017 waren im Jahr 2016 etwa 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung; gegenüber 2014 entspricht das einer Steigerung um mehr als das Doppelte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft rechnet für die Jahre 2017 und 2018 mit einem weiteren Zuwachs auf 1,2 Millionen Wohnungslose. Die nächste Schätzung soll im Herbst vorgestellt werden.

Sprecherin Rosenke sagte dem epd, sie hoffe, dass es im Laufe dieser Legislaturperiode zur Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik komme. Dazu würden zwischen Bund und Ländern Gespräche geführt, an denen auch die Verbände beteiligt seien. Rosenke kritisierte, bisher sei das politische Interesse gering gewesen, die Zahl der Obdachlosen und Wohnungsnotfälle statistisch zu erfassen. Angesichts der steigenden Zahl von Wohnungslosen und der Knappheit an preiswertem Wohnraum ändere sich das aber möglicherweise.

Der Grünen-Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik, Christian Kühn, kritisierte in der "Passauer Neuen Presse": "Die Bundesregierung verhält sich wie die drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen." Es sei "ein Skandal", dass es offensichtlich weder Kenntnisse noch ein Interesse an Erkenntnisgewinn gebe. Kühn forderte über eine Statistik zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit hinaus auch Zahlen, die das Ausmaß von Diskriminierung am Wohnungsmarkt erfassen. "Denn Diskriminierung und Wohnungslosigkeit gehen oft Hand in Hand", betonte der Grünen-Politiker.