TV-Tipp: "Parfum" (ZDF Neo)

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TV-Tipp: "Parfum" (ZDF Neo)
14.11., ZDF Neo, 22 Uhr
Die Serie sei "nach Motiven" des Weltbestsellers "Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders" entstanden, heißt es zu Beginn jeder Folge, aber das ist nur ein Bruchteil der Wahrheit: Autorin Eva Kranenburg hat Patrick Süskinds Geschichte für ihr Drehbuchdebüt komplett neu erfunden. Im Grunde hat sie nur das Kernmotiv übernommen, aber ansonsten ist alles anders.

Der zeitliche Rahmen, der Schauplatz, die Charaktere; selbst wenn das erste weibliche Opfer genauso rothaarig ist wie im Buch. Trotzdem spielt der Roman eine zentrale Rolle in Kranenburgs Geschichte, aber das enthüllt die Autorin erst später; zunächst wirkt es noch wie ein Augenzwinkern, wenn eine Dreizehnjährige in einer Rückblende Süskinds Buch liest.

"Parfum" beginnt wie ein Krimi: Irgendwo am Niederrhein läuft ein kleiner Junge mit einer roten Haarsträhne zum Nachbarn; der schaut nach dem Rechten und findet die grausig entstellte Mutter des Kindes tot im Pool. Die kluge Fallanalytikerin Nadja Simon (Friederike Becht) braucht nicht lange, um rauszufinden, dass Nachbar Roman (Ken Duken) seit zwanzig Jahren ein Verhältnis mit der Frau hatte. Es handelt sich um eine Sängerin, die schon in jungen Jahren eine Sirene war und ihm wie auch einigen anderen Jungs aus einem katholischen Internat den Kopf verdreht hat. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch nicht für Roman, trotz seiner Ehe mit Jugendfreundin Elena (Natalia Belitski): Katharina hatte offenbar ein überaus reges Sexualleben; das macht die Arbeit für die Profilerin und Kommissar Köhler (Juergen Maurer) nicht leichter. Anlässlich der Beerdigung kommt die Clique von damals wieder zusammen: Moritz (August Diehl), ein Parfumeur; Butsche, (Trystan Pütter), ein zu aggressiven Ausbrüchen neigender Zuhälter; Daniel, genannt Zahnlos (Christian Friedel), heute noch der gleiche Außenseiter wie damals; und schließlich Roman und Elena.

Der größte Reiz der von Philipp Kadelbach (Regie) und Jakub Bejnarowicz (Kamera) mit großer Kunstfertigkeit erzählten Geschichte liegt neben der herausragend guten Leistung des hochklassigen Ensembles in der Kombination von Gegenwart und Vergangenheit. Nadja wird bald klar, dass sie nach der Lösung des Falls in der Internatszeit der Beteiligten suchen muss, weshalb die Rückblenden immer wichtiger und umfangreicher werden. Damals ist ein Schüler spurlos verschwunden. Leider sind die Jugendlichen längst nicht so markant besetzt wie die Erwachsenen, es dauert daher eine Weile, bis gerade die Jungs Format gewinnen. Julius Nitschkoff (Butsche) ist das einzige bekannte Gesicht der Clique, weshalb die Mädchen (Franziska Brandmeier als Katharina, Valerie Stoll als Elena) zunächst präsenter sind. Zentrale Figur der Serie ist aber ohnehin die Ermittlerin; Friederike Becht ist schon in einigen wichtigen Nebenrollen sehr positiv aufgefallen, etwa als junge Mutter in "Nacht der Angst", in "Der hundertste Affe" (ein "Tatort" aus Bremen) oder zuletzt in dem mehrteiligen deutsch-deutschen Gesellschaftspanorama "Der gleiche Himmel". In "Parfum" sorgt Kranenburg mit einem einfachen Einfall dafür, dass sich Nadjas Privatleben mit der beruflichen Ebene vermischt: Sie hat eine Affäre mit dem allerdings verheirateten zuständigen Staatsanwalt Grünberg (Wotan Wilke Möhring). Kadelbach nutzt das unter anderem für einen makabren Anschluss, als er von einem heimlichen Quickie in die Rechtsmedizin auf die tote Sängerin umschneidet. Davon abgesehen ist es irritierend, wie Grünberg regelmäßig die klugen Vorschläge der jungen Polizistin recht unwirsch als Zeitverschwendung abtut, wenn Zeugen zugegen sind.

Auch weitere Nebenrollen sind prominent besetzt, was die entsprechenden Figuren naturgemäß aufwertet: Thomas Thieme spielt den Leiter des Internats, Karl Markovics den strengen Vater von Elena. Trotzdem sind die Szenen mit der Clique darstellerisch die interessantesten, weil das Quintett nicht nur prominent, sondern auch als Ensemble gut zusammengestellt ist. Die fünf eint unter anderem die Lieblosigkeit ihres Daseins, und das gilt keineswegs nur für den Einzelgänger Daniel; die Ehe von Roman und Elena zum Beispiel ist geprägt von Dominanz und Gewalt. Die eigentliche Qualität von "Parfum" liegt aber in der reizvoll verrätselten und lange Zeit völlig undurchschaubaren Geschichte sowie der teilweise kunstvollen Kombination der beiden Zeitebenen, die auch optisch hochinteressant sind: Die Gegenwartszenen bestehen aus brillanten hochauflösenden Bildern, die Vergangenheit wurde auf 16mm-Filmmaterial gedreht, was die von einem verklärend schönen Licht durchtränkten Bilder betont nostalgisch wirken lässt. Interessant ist auch die Musik von Fabian Römer und Michael Kadelbach, dem Bruder des Regisseurs. Dessen Filmografie ist nach wie vor vergleichsweise überschaubar, aber mit "Parfum" sorgt er nach "Hindenburg" (2011), "Unsere Mütter, unsere Väter" (2013) und "Nackt unter Wölfen" (2015) für einen weiteren Höhepunkt. Davon abgesehen machen die sechs Folgen große Lust, noch mal Süskinds Roman (erschienen im Diogenes-Verlag) zu lesen, um weitere Parallelen aufzuspüren. ZDF-Sender Neo zeigt die Serie jeweils in Doppelfolgen; sie ist ab heute komplett in der ZDF-Mediathek abrufbar.