TV-Tipp: "Ein Kind wird gesucht" (ZDF)

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TV-Tipp: "Ein Kind wird gesucht" (ZDF)
22.10., ZDF, 20.15 Uhr: "Ein Kind wird gesucht"
Es klingt etwas absurd, einem Krimi zu attestieren, er sei spannend wie ein Krimi. Aber "Ein Kind wird gesucht" funktioniert anders: keine Vernehmungen, keine Verfolgungsjagd, kein "Wenn’s der nicht war, dann vielleicht jener?!"

Und wer sich noch an den "Fall Mirco" erinnert, weiß ohnehin, wie die Geschichte ausgeht, denn das Drehbuch von Katja Röder und Fred Breinersdorfer hält sich eng an den authentischen Fall: Im Sommer 2010 verschwindet in einem Dorf am Niederrhein ein zehnjähriger Junge. Die Polizei tut alles Menschenmögliche, um ihn zu finden. Soko-Leiter Ingo Thiel lässt auch dann nicht nach, als blutbefleckte Kleidung des Kindes entdeckt wird und kaum damit zu rechnen ist, dass es noch lebt. Es dauert fünf Monate, bis sich die Eltern endlich von Mirco verabschieden können.

Natürlich geht es auch darum, den Mörder aufzuspüren, aber der Titel gibt den erzählerischen und gestalterischen Stil des Film sehr gut wieder: Da Röder und Breinersdorfer die Arbeit der Polizei minutiös schildern und Regisseur Urs Egger die Ereignisse betont sachlich inszeniert, wirkt "Ein Kind wird gesucht" mit seinen fürs ZDF typischen kühlen Krimibildern und der sparsam eingesetzten Musik mitunter wie ein Dokudrama ohne Interviews. Das Drehbuch basiert auf den Sachbüchern "Soko im Einsatz" von Thiel sowie "Mirco: Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen" von den Eltern des Jungen. Sandra und Reinhard Schlitter geben dem Fall eine spezielle Note, denn sie sind Mitglieder einer freikirchlichen Pfingstgemeinde. Mit tiefgläubigen Menschen tut sich das Fernsehen immer schwer, und auch dieser Film bildet da keine Ausnahme: Die beiden machen den Eindruck, als seien sie nicht von dieser Welt. Egger zeigt sie konsequent aus Thiels sekularer Perspektive und lässt sie auf diese Weise wie sektiererische Sonderlinge wirken.

Die Besetzung und die Führung der Schauspieler unterstreichen diese Haltung noch. Aus Sicht des offenbar areligiösen Polizisten ist Sandra Schlitter eine sonderbare Frau, zumal Silke Bodenbender die Mutter in ihrem unerschütterlichen Gottvertrauen mit einem imaginärem Heiligenschein versieht. Im Vergleich zu soviel Sanftmut im Verbund mit der Bereitschaft, dem Mörder zu vergeben, versieht Johann von Bülow den Vater mit einer fast schon erfrischenden Diesseitigkeit, denn er stellt die Frage aller Zweifelnden: Wenn Jesus immer da ist, wie kann er dann so eine Untat zulassen? Heino Ferch wiederum spielt den Soko-Leiter, wie er solche Rollen meistens angeht: ohne eine Miene zu verziehen. Es sind nicht die Sonnenbrille oder die schwarze Lederjacke, die Ingo Thiel zu einem coolen Typen machen, sondern Ferchs Ausstrahlung. Zwischendurch rastet der Mann mal aus, weil ein Mitarbeiter unbestätigte Informationen an die Eltern weitergegeben hat, aber ansonsten verkörpert Ferch ihn als Polizisten, der sich ein Ziel gesetzt hat, und das will er erreichen; nicht obsessiv, aber ohne Rücksicht auf Verluste. Die zwei Szenen, die dies verdeutlichen sollen, sind Egger allerdings arg klischeehaft geraten: Thiel, offenkundig geschieden, bekommt Krach mit seiner Ex-Frau, weil er nach Mirco sucht, anstatt sich um seine eigenen Söhne zu kümmern.

Die Soko-Mitglieder überprüfen Reinhards Alibi und erkundigen sich nach allzu innigen Kontakten zu den männlichen Gemeindemitgliedern. Zur Routine gehört auch die Frage, ob Sandra womöglich ein Verhältnis habe, weil sich pädophile Männer gern über die Mütter an die Kinder ranmachten. Gegenseitige Vorwürfe der Eltern bleiben nicht aus, aber die jeweils einzeln ausgesprochene Aufforderung der Ermittler, sich gegenseitig im Auge zu behalten, schweißt das Paar wieder zusammen. Größter Identifikationsmoment ist ein Fernsehauftritt Sandras, bei dem Bodenbender die Verzweiflung der Mutter derart gut vermittelt, dass spätestens jetzt jede Distanz erlischt. Abgesehen von den zwei oder drei Wutausbrüchen Thiels ist dies die einzige zutiefst emotionale Szene des Films, was ihre Wirkung nochmals verstärkt.

Der Rest ist Polizeiarbeit und entsprechend mühsam: Draußen durchkämmen Suchtrupps die Gegend, drinnen werden Unmassen von Daten ausgewertet; der Schauplatz, ein verlassenes Finanzamt, ist ähnlich trostlos wie irgendwann die Stimmung der Beamten. Umso größer ist der Respekt, den der Film ihnen erweist: Erstaunt und erfreut stellt Thiel fest, dass selbst an Weihnachten alle geschlossen zum Dienst erschienen sind. Da Buch und Regie gerade in der zweiten Hälfte, in der die Eltern nur noch am Rande auftauchen, sehr nüchtern die Ermittlungsarbeiten schildern, bekommen die wenigen zwischenmenschlichen Momente umso mehr Gewicht, wenn die Truppe zum Beispiel an Nikolaus von Sandra mit Präsenten überrascht wird. Alles andere als angenehm, gerade aus journalistischer Sicht, sind dagegen die abstoßenden Versuche der Boulevardpresse, der älteren Töchter ein paar Sätze zu entlocken. Das Mädchen ist auch an der einzig unglaubwürdigen Szene beteiligt: Die kleine Schwester fragt in kindlicher Unbefangenheit, ob sie nun Mircos Zimmer bekommen könne, und wird von der größeren zurechtgewiesen. Diese Empörung wirkt ähnlich aufgesetzt wie einige Dialogsätze der Kinder über Gott, aber womöglich wollte Egger diese Momente ganz bewusst so stehen lassen: um nahezulegen, dass gerade die ältere Tochter nicht sagt, was sie denkt. Die Eltern mögen ein gottgefälliges Leben führen, aber die Kinder wollen vor allem den Eltern gefallen. Seltsam, dass der Film die Familie so diskreditiert; nötig hat er das nicht.